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Heute ist die Casa de los Balcones ein Zentrum der kanarischen Handwerkskunst und bietet seinen Besuchern die Möglichkeit, einen Einblick in den Lebensstil des 17. bis 19. Jahrhunderts zu gewinnen, hochwertige Souvenirs zu erstehen oder den Stickerinnen bei ihrer Arbeit auf die Finger zu sehen. Tatsächlich zeigen die Frauen aus dem Dorf, durch welch mühevolle Kleinarbeit die kunstvollen Decken entstehen. Früher hatte jede Familie ihr eigenes Muster, das als eine Art Visitenkarte diente. Heute werden in der Casa de los Balcones vor allem das Richelieu-Muster aus La Palma und die Rosetten von Vilaflor gefertigt. Auch Körbe, kleine Timble-Gitarren und andere Erzeugnisse der lokalen Handwerkskunst kann man dort erstehen. Im malerischen Innenhof, der wildromantisch anmutet, werden Weine und Liköre zum Kauf angeboten und natürlich kann man sie auch vorher probieren.
Das Haus selbst scheint ein Zeuge aus einer vergangenen Zeit zu sein, obwohl es erst rund 20 Jahre her ist, dass die letzte Erbin der einstigen Adelsfamilie im ersten Stock des Hauses gewohnt hat und zwar genauso, wie man es heute noch besichtigen kann. Eine schmale Wendeltreppe führt in die einstigen Gemächer. Allerdings ist für diese Besichtigungstour ein Obolus von 1,50 Euro zu entrichten. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass nur Interessierte den Flur an den Zimmern entlang wandern, denn täglich besuchen rund 2.000 Menschen diesen bekannten Ort und einen so starken Zustrom würde der Holzboden nicht verkraften. Aus dem gleichen Grund kann man auch die Zimmer nur von außen betrachten.
Im geräumigen Wohnzimmer hängen noch Familienfotos an der Wand, es gibt ein Grammophon und sogar eine alte Spieluhr in Truhenform, die tatsächlich noch funktioniert. Lebensgroße Figuren, die in die Wohnlandschaft integriert sind, beleben die Szenerie. Ein altes Badezimmer mit einer Ausstattung von anno dazumal und sogar ein typischer Wasserfilter sind erhalten. Diese Vorrichtung (el bernegal) wurde einst zum Reinigen des Trinkwassers genutzt. Sie besteht aus einem Lavastein-Gefäß, durch das am unteren Ende Tropfen für Tropfen in einen Auffangbehälter gelangt. Etwa ein Tropfen pro acht Sekunden. Diese Anlagen, die damals in allen Haushalten üblich waren, sind in der Regel nach Norden ausgerichtet, um die Kühle zu garantieren. Am spannendsten ist die Küche. Sie ist noch genauso ausgestattet, wie es in der damaligen Zeit üblich war: mit einem alten Holzofen, handgefertigten Geschirrgestellen aus Holz und Haushaltskeramik. Fast wirkt es, als würde dort heute noch gekocht. Viele, die heute im Seniorenalter sind, erinnern sich noch, wie gemütlich sie es als Kinder empfanden, wenn die Frauen der Familie oder aus der Nachbarschaft in der Küche werkelten oder bei einem Tässchen Kaffee zum Klatsch bereit saßen. Darf man der Überlieferung glauben, waren die Frauen in der damaligen Gesellschaftsstruktur die Herrscherinnen über Haus, Herd und die Kinder. Auch das Haushaltsgeld wurde in der Regel vom weiblichen Geschlecht verwaltet. Die Männer gingen ihrem Handwerk nach und zogen sich dann meist zum gemütlichen Plausch in die ebenso in fast jedem Haus vorhandene Bodega im Keller zurück. Dort hielt man sich die Weiblichkeit vom Leib, indem man hartnäckig behauptete, Frauen hätten keinen Zugang, denn wenn eine Frau mit einer Monatsblutung den Raum beträte, würde der Wein zu Essig werden. Die Casa de los Balcones ist ein Haus aus der Vergangenheit, das in unserer modernen Zeit einen Hauch Geschichte lebendig werden lässt.
Von Sabine Virgin
Fotos: www.inselteneriffa.com