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Im Gegensatz zu Freud stellte sein Schüler Carl Gustav Jung, bis 1913 ein Anhänger der Freud’schen Psychoanalyse, bei der Traumforschung das individuelle Erleben jedes Menschen in den Mittelpunkt. Jung erkannte, dass sich ein Traumsymbol nicht auf einen einzigen Begriff reduzieren lässt. Für ihn zeigen Träume einen seelischen Tatbestand an. Als fortlaufender Dialog mit dem bewussten Ich wird diesem in jeder Nacht von unserer Persönlichkeit Nr. 2 – ein von Jung geprägter Begriff für das kollektive Unbewusste – ein Spiegel vorgehalten. Nach der Jung’schen Traumlehre ist es an jedem einzelnen, den Traum unter Bezugnahme der bisherigen Erfahrungen sowie vergangener und aktueller Lebenssituationen richtig zu entschlüsseln.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts beschäftigten sich auch Neurobiologen erstmals mit Träumen. Sie entdeckten, dass der nächtliche Traum einer gewissen zeitlichen Struktur folgt. 1880 erkannte der ehemalige Marinearzt Jean Gélineau die vollständige Abwesenheit jeglicher Muskelspannung. Anfang des 20. Jahrhunderts riss Alfred Maury, Professor am Collège de France, seine Versuchspersonen regelmäßig aus dem Schlaf – im Dienste der Traumforschung. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass sich die befragten Menschen nur selten an ihre Träume erinnern konnten. 1944 stellten Neurologen bei schlafenden Männern periodisch wiederkehrend drei bis vier Erektionen pro Nacht fest, ohne sie jedoch in Verbindung mit dem Träumen zu bringen. Später erst erkannte man, dass die jeweils gut 25 Minuten dauernden Erektionsphasen exakt dem Zyklus der Traumstadien entsprechen. 1953 beobachtete Eugen Aserinsky schnelle Augenbewegungen – „Rapid Eye Movements“ (REM) – bei einem schlafenden Kind. Er stellt die Hypothese auf, dass die REM-Phasen die Traumstadien des Menschen sind.
1959 schließlich wurden all diese Erkenntnisse zusammengefügt. Der Neurologe Michel Jouvet ergänzte die Forschungsergebnisse seiner Kollegen mit seinen eigenen Forschungen. Demnach gibt es zwei Schlafzustände: Während der Tiefschlaf-Phase wird an der Hirnrinde eine immer langsamer werdende elektrische Aktivität gemessen, der Schläfer bewegt nicht die Augen und eine gewisse Muskelspannung ist messbar. Weckt man einen Menschen aus dem Tiefschlaf auf, hat er keine Traumerinnerung.
Die REM-Phase oder Phase der Augenbewegungen wiederholt sich circa drei- bis viermal in jeder Nacht. Sie zeichnet sich durch ein neuroelektrisch ebenso aktives Gehirn wie im Wachzustand aus, doch die Muskelspannung fehlt völlig. Versuchspersonen, die in dieser Phase geweckt werden, können sich an ihre Träume erinnern. Jouvet schloss aus den Schilderungen seiner Testschläfer, dass die Augenbewegungen der Betrachtung von Traumszenen entsprechen können. Dieser „Traumblick“ stützte auch Eugen Aserinskys Schlussfolgerung, dass die Traumphase mit der REM-Phase gleichzusetzen ist.
Eine Besonderheit fiel Schlafforschern schon Ende des 19. Jahrhunderts auf: Frauen erinnern sich im Durchschnitt häufiger an ihre Träume als Männer. Sie erleben mehr Albträume. Sie sprechen mit anderen Menschen häufiger über ihre Träume – und sie haben generell ein größeres Interesse daran.
Seit den 50er Jahren gibt es zahlreiche Befragungen, wovon Frauen und Männer denn nun genau träumen. Auch hier zeigten sich in Industrieländern klare Unterschiede. Männer träumen deutlich häufiger von Aggressionen, Waffen, Sexualität und Situationen, die sich draußen abspielen. Frauen träumen mehr von Kleidung, zwischenmenschlichen Konflikten und Emotionen.
Auf der ganzen Welt versuchen Schlaflabore, das Phänomen Traum zu enträtseln. Um es gleich vorwegzunehmen: Niemand hat bisher entdeckt, warum es Träume überhaupt gibt. Braucht das der Körper, braucht es der Geist? Und kann das heutige Wissen um die Traumentstehung bei Therapien helfen – und falls ja, welche Traumbearbeitungsmethode hilft am besten? All das ist noch offen.
Als gesichert gilt inzwischen nur, dass das menschliche Bewusstsein nie schläft. In manchen Schlafphasen zeigt das Hirn weniger Aktivität als im Wachzustand, in anderen dagegen mehr. Aber das subjektive Erleben reißt nicht ab.
Wie Träume biologisch ablaufen, lässt sich nur schwer fassen. Es gibt wohl kein klassisches Traumzentrum im Kopf. Schlafforscher sind sich heute einig: Jeder Mensch träumt, während er schläft – und zwar in allen Phasen. Nur die Erinnerung fehlt oft. Am einfachsten ist es noch, Trauminhalte nach REM-Phasen wiederzugeben. Das Gehirn ist in diesen Phasen ohnehin schon sehr aktiv, das macht das Erinnern leichter, so die Erklärung von Forschern. Immer wieder fällt ihnen auf, dass Frauen sich häufiger und besser an Träume erinnern als Männer. Allein an der Biologie möchten sie das allerdings nicht festmachen – außer vielleicht an der Tatsache, dass Frauen oft schlechter schlafen als Männer. Da sie dadurch nachts häufiger aufwachen, haben sie eine größere Chance, einen Traum zu fangen.
Bei Frauen spielt wohl vor allem die positivere Einstellung zum Träumen eine Rolle – diese entwickelt sich wohl erst nach und nach. So bemerkten Forscher schon früher, dass Geschlechterunterschiede bei Traumberichten von Kindern weit weniger ausgeprägt waren als bei Jugendlichen und Erwachsenen. Die höhere Traum-Affinität von erwachsenen Frauen könnte also ein simpler Lerneffekt bei der Ausprägung der Geschlechterrollen sein. Die Beschäftigung mit dem Thema Traum führt wahrscheinlich auch zu einer höheren Traumerinnerung, glauben Wissenschaftler.
Wovon Frauen und Männer träumen, hängt jedoch auch stark mit ihrem Alltag zusammen. Viele Wissenschaftler sind sich einig, dass Traumbilder frisch Erlebtes widerspiegeln und das Gehirn diese Erlebnisse zusätzlich damit abgleicht, was im Gedächtnis gespeichert ist. Daneben gibt es aber noch eine Unbekannte.
Noch für Sigmund Freud waren Träume der Königsweg zum Unterbewussten. Er sah darin die Maskierung von Wünschen, die im Wachleben verborgen bleiben – oft sexuelles Verlangen. Traumdeutungsliteratur füllt bis heute ganze Bibliotheken – von der Bedeutung schwarzer Katzen bis hin zur Hellseherei. Die moderne akademische Forschung geht anders vor, auch mit Blick auf Männer und Frauen.