|
• Herr Professor Günther, sie forschen gerade in China an einem neuen Projekt. Könnten Sie das kurz erläutern?
In China arbeiten wir gerade an der Entwicklung eines sogenannten „Spazierschwebers“. Das ist sozusagen ein „fahrbarer Regenschirm“. Darunter kann man sich eine Art faltbares Dreirad vorstellen, das einen Elektromotor besitzt, einfach aufgeklappt werden kann und dann rund 20 Stundenkilometer schnell fährt. Es hat eine Reichweite von etwa 50 Kilometer und genügend Platz, um beispielsweise einen Einkauf oder ein Kind mitzunehmen. Der Prototyp wiegt rund sieben Kilo, unser Ziel ist es, das Gewicht auf zwei Kilo zu reduzieren. Ich lebe beispielsweise südlich von Wien und fahre morgens mit dem Auto zum Bahnhof, von dort mit der Bahn nach Wien und in Wien bewege ich mich mit dem mitgenommenen Spazierschweber fort. Das Gefährt ist eine technische Variante, die der zunehmenden Altersstruktur in unserer Gesellschaft und dem Verkehrschaos in den Städten ihren Tribut zollt. Es ist leicht, sich damit fortzubewegen und es kann auch noch etwas transportiert werden.
• Auf Teneriffa geht es aber dieses Mal um ein anderes Thema: Big Data und die globale Datenvernetzung stehen auf dem Programm. Worauf muss sich der Mensch in der modernen Welt einstellen? Welche Vorteile und Risiken bringt das mit sich?
Dass unsere Welt immer vernetzter wird, ist kein Geheimnis. Der Mensch selbst wird immer transparenter, denn jedes Mal, wenn wir den Computer einschalten, hinterlassen wir sogenannte Spuren („Footprints“). Diese Daten werden gesammelt und von intelligenten Maschinen ausgewertet. Wobei diese nicht frei von Fehlerquellen sind. Fakt ist jedoch, dass enorme Datenmengen über jeden Einzelnen gespeichert und abrufbar sind. Der Mensch wird transparenter – was mit den Daten geschieht, hingegen nicht unbedingt. Allein der Internethändler Amazon verfügt über eine Unmenge von Daten und Informationen über jeden Kunden. Automatisch wird der Kunde beispielsweise benachrichtigt, wenn eine Neuerscheinung eines Autors auf den Markt kommt, der in das Profil des Kunden passt. Oder nehmen wir Facebook: Im letzten Jahr kaufte das Unternehmen den SMS-Dienst Whatsapp auf und hat dadurch ein unglaubliches, tägliches Datenpotenzial gesteigert. Diese Flut ist wiederum nur durch die Aktivierung spezieller Programm zu verarbeiten. Registrieren die Programme, die meine Daten auswerten, beispielsweise, dass ich in der letzten Zeit häufig in den Oman telefoniere, dann bekomme ich über Facebook plötzlich Vorschläge von möglichen Freunden aus dieser Region.
• Wo sehen sie positive Entwicklungen?
Die modernen Medien eröffnen viele Möglichkeiten, die positiv genutzt werden können. Zum Beispiel kann erfasst werden, wann und wo es in den Städten und auf unseren Autobahnen zu Stoßzeiten und Engpässen kommen wird. Das heißt, wir können neue Verkehrsleitprogramme entwickeln. Das ist deshalb wichtig, weil die Bevölkerung in der Zukunft zu 80 Prozent in Städten leben wird. Ganz abgesehen davon gehe ich davon aus, dass wir in den nächsten zehn Jahren in Regionen wie beispielsweise in München auf die Autobahn fahren und über Leitsysteme automatisch und ohne unser Zutun nach Hamburg oder zu einem sonstigen gewünschten Zielen gefahren werden. Oder nehmen wir die Möglichkeit, dass wir unser Zuhause so gestalten, dass mit dem Wecker automatisch die Kaffeemaschine und der Toaster in Gang gesetzt werden. Bis wir aus dem Badezimmer kommen, ist das Frühstück fertig. Oder wir nutzen Smartphones, um von unterwegs Lichtschalter, Heizung, Klimaanlage oder Jalousien zu betätigen. Man kann das sogar programmieren, dass sich die Heizung zum Beispiel automatisch einschaltet, sobald wir nur noch zehn Kilometer von unserer Wohnung entfernt sind. Es gibt zahlreiche Anwendungen, die unser Leben erleichtern.
Oder nehmen wir die neuen 3-D-Drucker als ein weiteres Beispiel. In der Zukunft gehen wir zum Zahnarzt, weil wir zum Beispiel ein Ersatzimplantat brauchen. Dieser scannt unsere Zahnreihen und der Computer errechnet automatisch eine Lösung und druckt uns den passenden Zahnersatz aus. Nach nur rund einer Stunde können wir die Praxis mit dem neuen Zahn verlassen. Oder ein anderes Szenario Autowerkstatt: Nehmen wir an, ich brauche eine neue Stoßstange. In Zukunft fahren wir in die Werkstatt, diese gibt Marke und Modell in den Computer ein. Über den Hersteller wird eine Art Lizenz gekauft und schon kommen die Daten der Stoßstange per Computer und können über den 3-Drucker ausgedruckt werden. Der Werkstattbesitzer spart sich die Lagerhaltung, aber vor allem ist die Schnelligkeit ein Hauptargument. Wir brauchen keine Warte- und Lieferzeiten mehr in Kauf nehmen. Zudem ist es völlig egal, wo die Werkstatt ist. Gerade für periphere Lagen, wie es auch für die Kanaren zutrifft, ist das ein großes Plus. Oder ich bin auf Reisen und erkranke oder habe einen Unfall. Über die Datenvernetzung kann jeder Arzt im Notfall auf meine Daten zugreifen. In kürzester Zeit hat er meine Krankengeschichte, kennt meine Medikamente, eventuelle Operationen oder Unverträglichkeiten. Das erleichtert ihm die Entscheidung für die optimale Behandlung.
• Wie wirkt sich die neue Technik auf die junge Generation aus?
Die junge Generation wächst sozusagen mit der neuen Technik auf. Das heißt, sie geht damit selbstverständlicher um. Wissenschaftlich ist auch erwiesen, dass die jungen Leute schneller und anders lesen. Während wir beispielsweise noch Seite für Seite lesen, haben sie über den Computer eine selektierende Leseart entwickelt. Das heißt, sie picken sich die relevanten Textpassagen heraus und sind dadurch schneller. Die neuen Technologien werden immer mehr in den Unterricht eingebunden und dadurch wird für das Lernen mehr Anschauung geboten. Der Lernende selbst wird zu mehr Selbstständigkeit erzogen. Es werden ganz neue Berufe entstehen, während andere verschwinden, weil sie von Maschinen übernommen werden. Allerdings wird die Gesellschaft auch noch leistungsorientierter. Wer da nicht mithalten kann, bleibt immer mehr auf der Strecke. Um diese Menschen aufzufangen und einer sinnvollen Aufgabe zuzuführen, müssen wir uns in Bezug auf sozialle Innovationen einiges einfallen lassen.
• Wo sehen Sie Gefahren?
Ich denke, wir müssen aufpassen, dass die Technik nicht unser ganzes Leben zu dominieren beginnt. Wir dürfen das analoge Leben nicht verlernen. Dazu sind auch die Politiker gefordert, denn sie müssen den Möglichkeiten der Technologie sinnvolle Grenzen setzen. In Deutschland werden seit 9/11 beispielsweise Telefongespräche aufgezeichnet und die Polizei kann sie abhören. Gerade in Deutschland, wo sonst so viel Wert auf Datenschutz gelegt wird, wundert uns das sehr. Gerade darin sehe ich das größte Risiko. Die Politiker brauchen Fachleute, die sie bei der Ausarbeitung von Gesetzen beraten, denn sie selbst können, wie alle, die nicht direkt an der Technologie und deren Entwicklung beteiligt sind, das Ausmaß gar nicht abschätzen. Nehmen wir folgendes Szenario. In einer modernen demokratischen Gesellschaft werden über jeden Einzelnen automatisch Daten gesammelt, die solange der Mensch nicht kriminell wird, nie ausgenutzt werden. Jetzt kommt es aber zu einem Umsturz und plötzlich wandelt sich dieses Land zur Diktatur. Dann ist ein schneller Zugriff auf diese Daten möglich. Dem Missbrauch steht dann Tür und Tor offen. In der Wirtschaft können künftige Mitarbeiter nach dem Gesundheitszustand und privaten Kriterien vorselektiert werden. Wer passt am besten in das Unternehmen? Das klingt zunächst positiv, ist aber ein weiterer Schritt zu einer automatisierten Entwicklung, in der menschliche Faktoren außen vor bleiben. Außerdem ergaben sich gerade durch die Begegnung mit anders Denkenden schon immer die besten Fortschritte. Das bezieht sich genauso auf die wissenschaftliche wie auf die menschliche Basis. Streitgespräche, Konflikte und andere Meinungen tragen zur persönlichen Entwicklung bei und sind eine Methode jedes Bildungsprozesses.
• Herr Vasiu, auch Sie sind durch Ihre Tätigkeit an der Universität eng mit der jungen Generation verknüpft. Welche Auswirkungen sehen Sie durch die Technik auf deren Alltag?
Ich denke, dass die Technologien viele Möglichkeiten eröffnen. Vor allem auch für Menschen, die vielleicht weniger mobil sind oder in entlegenen Gebieten leben. Heutzutage muss der Student nicht mehr unbedingt in die Uni kommen. Es gibt Alternativen, bei denen die Uni per Computer nach Hause kommt. Egal, wo derjenige lebt. Das schafft mehr Chancengleichheit. Auch unsere Arbeitswelt wird sich dadurch verändern. Viele Dinge können von überall erledigt werden. Das heißt, die Präsenz im Unternehmen ist nicht mehr zwingend erforderlich. Die Berufswelt wird immer mehr dezentralisiert und man trifft sich anlassbezogen zu Besprechungen oder dem gezielten gegenseitigen Austausch. Es wird Berufe geben, die verschwinden und neue werden entstehen. Ich denke, gerade in Bezug auf die junge Generation, müssen wir in der Ausbildung besonders darauf achten, dass die jungen Leute an einen richtigen Umgang mit den neuen Medien herangeführt werden und aber auch deren Risiken erkennen.
• Wie sehen Sie die technologische Entwicklung der Zukunft?
Ich denke, sie birgt mehr Chancen als Risiken. Aber wie bei allem gibt es positive, wie negative Aspekte. Das heißt wir müssen, verantwortlich mit den Möglichkeiten umgehen. Außerdem werden die Maschinen immer intelligenter. Das heißt, sie werden auch so programmiert, dass sie autonome Entscheidungen treffen. Diese könnten sich unter Umständen sogar gegen uns richten. Es gibt aus Hollywood bereits Science-Fiction-Filme, in denen der intelligente Roboter plötzlich den Menschen bekämpft und besiegt. Das ist gar nicht so weit weg und es wäre nicht das erste Mal, dass aus Science-Fiction Realität wird. Aber das ist natürlich ein „schlimmster-Fall-Szenario“. So wie wir heute leben und vernetzt sind, und das ist ist wissenschaftlich untersucht worden, würde alles zusammenbrechen, sobald wir eine Woche lang kein Internet mehr hätten. Das ist eine Abhängigkeit, die bedenklich stimmt. Auch wird die Schere zwischen entwickelten Ländern mit Zugang zur Hochtechnologie und unterentwickelten Ländern immer weiter auseinanderklaffen. Auch das birgt Risiken bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen
• Welche Empfehlung würden sie aus Ihrer Sicht unseren Lesern in Bezug auf den Umgang mit neuen Technologien geben?
Ich bin natürlich dafür, dass wir die Vorteile nutzen, die durch die neuen Technologien entstehen. Wir müssen immer offen bleiben und Neuem positiv begegnen. Andererseits bin ich aber auch dafür, hinter die Kulissen zu blicken und nicht alles unkritisch hinzunehmen. Einen verantwortungsvollen und bewussten Umgang mit der Technik halte ich für sehr wichtig. Vor allem sollte der Mensch niemals aufhören, sein eigenes Gehirn einzusetzen und selbst zu denken. Das ist denke ich die wichtigste Botschaft. Im 21. Jahrhundert sollten wir uns die Technik zunutze machen, aber nicht in allen Bereichen und nicht unreflektiert.
Wir danken Ihnen beiden sehr für das Gespräch und den Einblick, den sie uns Laien in die hochtechnisierte Welt gegeben haben.
Die Humboldt Cosmos Multiversity, HCM, hat vom 13. bis 16. April den nächsten Workshop mit interessanten Gastexperten. Dieses Mal geht es um das Thema „Resilience“ (Belastbarkeit und Selbstheilfähigkeit). Unter anderem werden die Landwirtschaft, die soziale Zukunft Teneriffas und biomedizinische Aspekte beleuchtet.
Von Sabine Virgin
Weltweites Datennetz
Im Folgenden einige konzentrierte Daten, die das Ausmaß der globalen Vernetzung in Zahlen veranschaulichen.
Datenerfassung bis 2003: 5 Milliarden Gigabytes
2011: 5 Milliarden Gigabytes alle zwei Tage
2013: 5 Milliarden Gigabytes alle zehn Minuten
2015: 5 Milliarden Gigabytes alle zehn Sekunden.
Seit 2008: wurden 200 Milliarden Apps heruntergeladen, die Hälfte davon allein in 2013.
2014: sind zwei Milliarden Smartphones im Umlauf
2020: werden voraussichtlich 8 von 10 Usern ein Smartphone benutzen.
30 Milliarden Geräte werden bis zum Jahr 2020 geschätzt im „Internet der Dinge“ hängen. Rund 10 Milliarden mehr als bisher
Facebook: hat 1.228 Milliarden Nutzer (Stand Feb. 2014)
Davon in Europa: 282 Millionen
in Deutschland: 27,38 Millionen
in Österreich: 3,24 Millionen
Instagram: 200 Millionen Nutzer
Twitter: 232 Millionen Nutzer
Google+: 300 Millionen Nutzer
Xing: 12.65 Millionen Nutzer