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Meeressäugerschutzgebiet im Atlantik
Trotzdem ist er der Meinung, dass der Mensch jetzt entscheiden muss, wie die Natur in der Zukunft aussehen soll. Dabei spricht er nicht von den nächsten 30 Jahren, sondern die Weichen müssen für eine weiter entfernte Zukunft gestellt werden. Deshalb befürwortet er auch den Vorstoß, den die Präsidentin von EAAM, Arlette Sgrorob, zur Eröffnung des diesjährigen Symposiums vortrug. Demnach ist geplant, im Atlantik eine Art Sanktuarium für Meeressäuger und Fische einzuführen. Das gigantische Schutzgebiet würde sich von der andalusischen Atlantikküste vorbei an den Azoren und Madeira über die Kanaren und Marokko bis zu den Kapverden erstrecken. Innerhalb dieser Zone würden zwei Fahrrinnen für den internationalen Schiffsverkehr eingerichtet. Ansonsten könnten alle Meeresbewohner dort ungestört leben und sich vermehren. Ein solch großflächiges Schutzgebiet wäre weltweit einmalig und sowohl aus touristischen als auch aus wissenschaftlichen Gründen von großem Interesse. Auch der Präsident des Loro Parques, Wolfgang Kiessling, begrüßte das Projekt und sagte seitens des Parks und der angeschlossenen Stiftung vollste Unterstützung zu. Gerade durch die Haltung von Delfinen und Orkas geriete der Loro Parque auch immer wieder in die Kritik von Umweltschützern. Aber die Sympathie, die diese Tiere bei den Besuchern wecken, sei enorm wichtig, um das Bewusstsein und die Bereitschaft für große Schutzgebiete in der freien Natur zu fördern. Außerdem werde alles getan, um die Tiere bestmöglich zu halten. Ähnlich sah es auch Kanarenpräsident Paulino Rivero, der im Schutz der natürlichen Schätze des Archipels zu Wasser und zu Land das wichtigste Zukunftspotenzial sah. Das Image der Kanaren soll noch grüner werden.
Im Rahmen der Eröffnungsfeier wurde zudem der kanarische Künstler Alejandro Tosco vorgestellt. Er hat der Sammlung von Kunstorkas ein weiteres Exemplar zugeführt. Das Modell „Krebs-Harlekin“ ist farbenfroh. Kunst und Umweltschutz fusionieren in dem Projekt, an dem 13 der bekanntesten zeitgenössischen kanarischen Maler sowie fünf Stiftungen teilgenommen haben. Tosco, der selbst ein engagierter Umweltschützer ist, fühlte sich von dem Auftrag, ein weiteres Modell zu kreieren, geehrt.
An dem 42. Kongress für die Meeressäuger selbst nahmen rund 200 Wissenschaftler, Tierärzte, Studenten und Tiertrainer teil. Das Schutzgebiet, die Gesundheit, Erziehung, Kommunikation und Bioakustik unter Wasser sind einige der Themen, die an dem Wochenende angeschnitten wurden. Unter anderem wurde erstmals ein neu entwickeltes Gerät mit bioakustischen Signalen vorgestellt. Es wurde von der Fakultät für Physik an der Universtität in La Laguna in Kooperation mit der Loro Parque Stiftung entwickelt und während eines Workshops im Süden Teneriffas erstmals vorgeführt und erprobt.
Im Gespräch mit Prof. Dr. Dietmar Todt
Einer der Teilnehmer und Gastredner während des Kongresses war Prof. Dr. Dietmar Todt. Er ist Verhaltensbiologe an der Universität Berlin. Sein besonderes Spezialgebiet ist die Kommunikation im Tierreich. Zu Beginn seiner Laufbahn beschäftigte er sich vor allem mit Singvögeln und Papageien, später mit Primaten und heute wecken vor allem Wale und Delfine seinen Forschergeist. In ihnen sieht er sogar den Schlüssel für die Kommunikation unter Lebewesen. Dem Kanaren Express beantwortete er einige Fragen:
• Sie hatten mit dem Loro Parque bereits früher Kontakt, als sie noch die Sprache der Papageien erforschten. Nun liegt ihr Fokus auf der parkeigenen Anlage Orca Ocean. Dabei gerät die Haltung von Walen und Delfinen in menschlicher Obhut immer wieder in die Kritik. Was sagen Sie aus wissenschaftlicher Sicht dazu?
Wenn ich Delfine oder auch Wale sehe, die schlecht gehalten werden, dann bin ich bestimmt der Erste, der dies an den Pranger stellt. Nicht so im Loro Parque. Hier haben die Tiere ganz sicher die besten Haltungsbedingungen, die man ihnen außerhalb der freien Natur geben kann. Für uns Wissenschaftler ist Orca Ocean ein absoluter Glücksfall. Denn hier haben wir die Möglichkeit diese wunderbaren Tiere zu erforschen, zu beobachten und ihre Töne auszuwerten. Die Erkenntnisse, die wir hier gewinnen, können wir danach nutzen, um Wildtiere in freier Natur zu schützen. Die Erforschung der Sprache der Wale und Delfine ist deshalb so schwierig, weil die Sichtverhältnisse unter Wasser so schlecht sind. Wenn wir einen Ton einfangen, können wir ihn oft allein aus dem Grund nicht einordnen, weil wir nicht wissen, welches Verhalten dem Laut vorausgegangen ist. Außerdem mischen sich durch die Lärmbelastung in den Ozeanen auch andere Töne dazwischen, die wir nicht immer zuordnen können. Deshalb sind die Bedingungen für unsere Forschungsarbeit mit den akustischen Signalen in Delfinarien oder im Orka-Becken des Loro Parques besonders gut.
• Sie waren von Anfang an dabei, als die Orkas aus den USA nach Puerto de la Cruz gekommen sind?
Ja, das stimmt und das bot uns eine ganz besonders einmalige Chance, um den Geheimnissen der Orka-Sprache etwas näher zu kommen. Zwei der Tiere, die hier leben, kamen aus San Antonio in Texas und die anderen beiden aus Orlando in Florida. Wir wissen, dass Orkafamilien innerhalb ihrer Gruppe eigene Laute, also eine Art Dialekt, entwickeln. Nachdem im Orca Ocean nun jeweils zwei Exemplare aus verschiedenen Gruppen aufeinander trafen, war es für uns besonders interessant zu beobachten, wie sie miteinander kommunizieren. Die Tiere kamen im Februar an. Im März produzierten sie enorm viele Laute und schon im Mai hatten sie ihre eigene Gruppensprache entwickelt, mit der sie sich verständigten. Interessanterweise haben sie aus Texas drei und aus Florida acht Laute übernommen. Manche wurden leicht abgewandelt und die Tiere hatten sogar eigene Töne entwickelt. Insgesamt kommunizieren sie jetzt mit etwa 17 verschiedenen Lauten miteinander. Orkas leben in matriarchalischen Strukturen. Deshalb war es für uns auch interessant, dass sich vor allem die Weibchen aus Florida mit „ihrer“ Sprache durchgesetzt haben, obwohl sie jünger waren als ihre männlichen Artgenossen. Die eigenen Töne, die inzwischen im Orka-Becken entstanden sind, belegen die These, dass diese intelligenten Tiere ganz individuelle Lernprozesse durchlaufen und eben auch Neues schaffen können.
• Wie sehen Sie den Aufenthalt von Morgan im Orka Ocean?
Diese Frage ist für mich ganz eindeutig: Morgan hat in der freien Wildbahn keine Überlebenschance. Sie wäre einsam und würde verhungern. Denn durch ihre Taubheit kann sie weder Fischschwärme per Sonar und Echolot orten, noch mit Artgenossen in Kontakt treten. Wie schon gesagt, die Sicht ist im Wasser sehr schlecht und hören kann sie nicht. Würde man sie in die Freiheit entlassen, wäre sie dem Tod geweiht. Dabei glauben wir, dass sie nicht taub geboren wurde. Denn als sie kam, konnte sie ein paar Töne. Da sie noch sehr jung war, waren es nur ein paar wenige. Per Spektogramm machen wir die im Wasser aufgefangenen Töne sichtbar und können sie so auf einer objektiven Basis vergleichen. Deshalb vermuten wir aufgrund ihres „Dialektes“, dass sie aus norwegischen Gewässern stammt. Am Anfang waren die anderen Orkas im Loro Parque von den fremden Lauten irritiert. Inzwischen haben sie eine Form gefunden, mit ihr umzugehen. Dabei hilft, dass sie nicht ganz taub ist, sondern manches doch wahrnehmen kann.
• Haben Sie eine Theorie, wie Morgan ihre Familie verloren hat?
Wir wissen nicht, weshalb sie das Gehör verloren hat. Der deutsche Naturschutzbund untersucht derzeit, ob es im fraglichen Zeitraum ungewöhnliche Lärmbelastungen im Nordmeer gegeben hat. Beispielsweise durch Bohrungen, um Off-Shore-Windparks im Meeresboden zu verankern, oder eventuell sogar Sprengungen. Vermutlich hat Morgan ihre Familie verloren, weil sie sie nicht mehr hören und damit den Anschluss halten konnte. Möglich ist sogar, dass die ganze Gruppe durch ein besonderes Ereignis das Gehör verloren und damit den Zusammenhalt verloren hat. Die Untersuchungen des Naturschutzbundes zu dieser Frage laufen allerdings noch.
• Wie leben Orkas in der freien Wildbahn, und mischen sie sich untereinander trotz unterschiedlicher „Dialekte“?
Die Orkas leben in matriarchalischen Strukturen. Das heißt, das älteste Weibchen führt die Gruppe. In der Regel leben die Tiere in einem bestimmten Gebiet und verlassen es auch nicht. Deshalb können wir heute sagen, dass die Laute, die Morgan vermutlich vor ihrem Ertauben erlernt hat, aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem Nordmeer stammen. Aber auch wenn Gruppen aufeinander treffen, ist ein Kontakt möglich. Wir haben beispielsweise den Versuch gemacht, den Orkas des Loro Parques verschiedene Laute vorzuspielen. Zum einen waren es ihre eigenen Töne, die mit eine Hydrophon aufgenommen worden waren. Diese interessierten sie überhaupt nicht. Ähnlich ging es mit Lautmelodien aus Orlando. Ganz anders allerdings die Reaktion auf Walgesänge, die aus Texas stammten. Auf diesen Lautsprecher schwammen die Orkas ganz interessiert zu. Das zeigt uns im Rückschluss, dass Orkas verschiedener Familien aufeinander zugehen und sich mit Neugier begegnen können. Vor allem Männchen suchen sich häufiger neue Gruppen und sorgen so auch dafür, dass frische Gene in die Gruppe kommen und dadurch Inzuchtschäden vermieden werden.
• Gibt es bei Delfinen ähnliche Besonderheiten?
Am auffälligsten bei Delfinen ist ein Phänomen, das wir Signalpfiff nennen. Denn jeder Delfin entwickelt einen eigenen individuellen Pfiff, mit dem er für die anderen Artgenossen erkennbar ist. Deshalb wurde er manchmal als „Name“ bezeichnet. In der Regel ruft jedes Tier nur den eigenen Namen. Doch konnten wir auch schon beobachten, dass bei dem Verlust eines Tieres, die anderen seinen Namen nachahmten, um ihn zu suchen. Außerdem haben sie bestimmte Rufe, um die Gruppe zusammenzutrommeln oder beispielsweise bei Aggressionen und Konflikten. Auch da gibt es ein Spektrum feiner Nuancen, die in der Verständigung einen Unterschied ausmachen.
Die Meeressäuger sind sehr intelligente Lebewesen, sie haben viele Besonderheiten, die über die Kommunikation hinausgehen. Es gibt für uns noch sehr viel zu tun, bevor wir diese wunderbaren Tiere wirklich verstehen können. Je mehr wir aber über sie wissen, um so besser können wir ihnen helfen und sie schützen. Deshalb sind Forschungsbedingungen wie im Loro Parque für die Wissenschaft ein Segen. Der Park arbeitet sehr eng mit der Universität in La Laguna zusammen. Dort werden die mit den Hydrophonen aufgezeichneten Töne ausgewertet. Das Material ist uns, aber auch anderen Wissenschaftlern aus aller Welt zugänglich und hilft uns bei unserer Arbeit enorm weiter.
• Was halten Sie von den geplanten Ölbohrungen vor Fuerteventura und Lanzarote in Bezug auf die dort lebenden Wal- und Delfinpopulationen?
Ich habe mich mit diesem speziellen Thema bislang nicht befasst und möchte deshalb auch nicht näher darauf eingehen. Generell würde ich das Projekt mit großer Skepsis sehen. Denn die Schallwellen, die sich im Wasser so rasend schnell und auch intensiv verbreiten, sind für die Meeressäuger bestimmt nicht angenehm. Und auch mögliche Öllecks bilden natürlich ein Risiko.
Prof. Dr. Todt wir danken Ihnen für das interessante Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg bei der Erforschung der Meeressäuger.