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• Daniel, Sie sind in der deutschen Botschaft in Honduras tätig. Welche Beziehung haben Sie zu den Kanarischen Inseln?
Ich vermisse die Inseln. Denn anders als zu Zeiten des guten alten Kolumbus führt der Weg in die neue Welt oder zurück nach Europa ja nicht mehr über die Kanaren. Als wir in Berlin lebten und arbeiteten, sind meine Frau Ingrid und ich jedes Jahr zweimal auf die Kanarischen Inseln geflogen, immer auf eine andere bzw. an einen anderen Ort. Im Jahr 2010 hatte ich ein Sabbatical und brauchte ein Jahr lang gar nicht zu arbeiten; da waren wir sogar fast 3 Monate auf den Inseln. Das alles geht von Honduras aus nun leider nicht mehr.
• Während Ihrer Aufenthalte auf den Kanarischen Inseln haben Sie sich hier gründlich umgesehen. Was fasziniert Sie, als viel gereisten Menschen, so an den Kanaren?
Nach dem, was die Historiker wissen, sind die Kanarischen Inseln nicht das sagenhafte Atlantis. Doch sagenhaft sind sie allemal; auf alle Fälle bieten sie viel, viel mehr als Strand, Sonne und Disko; und sind im Vergleich zu anderen Destinationen auf der Welt immer noch etwas ganz Außergewöhnliches. Besonders beeindruckt mich die ungeheure Vielfalt dieser sieben Perlen im Atlantik.
• Die Kanarischen Inseln zu besuchen und zu genießen ist das eine, aber was hat Sie veranlasst, gleich einen Reiseführer zu schreiben?
Die „Schlaglichter Kanarische Inseln“ sind nicht mein erster Reiseführer. Ich schreibe über Länder und Orte, die mir besonders gefallen und an denen ich mich gut auskenne. Beides ist bei den Kanarischen Inseln der Fall. Zwischen 2005 und 2011 bin ich immer wieder auf den Kanarischen Inseln gewesen. Dabei bin ich locker auf jene 700 Recherchestunden gekommen, die die Lonely Planet-Autorinnen für sich in Anspruch nehmen. Jeder Besuch hat mir aufs Neue gezeigt, dass jede Insel ihren ganz eigenen Zauber hat. Nie ist es langweilig geworden, diese ungeheure Vielfalt zu erkunden.
• In Ihrem Blick fürs Detail erkennt man auch so manches Augenzwinkern. Schildern Sie uns doch bitte einige Erlebnisse, die Sie zum Schmunzeln angeregt haben.
Sie haben Recht; ich habe große Freude dran, nach Kuriositäten und schrägen Details zu suchen, die es übrigens fast überall auf der Welt zu entdecken gibt.
Auf den Kanaren hat mich der an einigen Orten doch ziemlich massive Tourismus oft an das lustige Spanien-Lied der Bläck Fööss denken lassen: „Fehlt nur noch vom Balkon die Aussicht auf den Dom“. Mehr als 200.000 Gäste in Playa de las Américas, das ist ja auch schon ein Hammer. Ich habe mir diese gigantische Spaß-Stadt etwas genauer angeschaut und auf einer „Hotelrundfahrt“ gesehen, wie durch kreative, bisweilen schräge Architektur, durch eine unbefangene Mischung von Baustilen aller Zeiten und aller Kontinente Hotels plötzlich zu Sehenswürdigkeiten werden. Auch Maspalomas steht dem mit den Lopesan- und Ríu-Tempeln nur wenig nach.
Lanzarote ist in meinen Augen eine sehr ordentliche und durch den auch mehr als 20 Jahre nach seinem Tod allgegenwärtigen César Manrique künstlerisch durchgestylte Insel. Und gerade dort, inmitten einer fast perfekten Symbiose von Mensch, Natur und Kunst entdecke ich im Hafen vor Arrecife einen riesigen, total verrosteten, auf Grund gelaufenen Frachter. Das ist doch cool, und schmunzeln lässt es mich auch.
Als ich in das hübsche Städtchen Teror auf Gran Canaria kam, bin ich in die Kirche gegangen und habe mir die über und über mit Schmuck behangene Madonna angeschaut. Doch welch ein Schreck! Die Jungfrau schielte! Kunsthistoriker erklären den Silberblick der Muttergottes übrigens damit, dass die Virgen del Pino mit der einen Gesichtshälfte lächelt und mit der anderen trauert – na denn.
Und als ich zu dem abgelegenen Dorf Masca auf Teneriffa fuhr, dachte ich: ja geht’s denn noch. Mit Leidenschaft und Tatkraft ist es dem spanischen Straßenbau doch tatsächlich gelungen, der steilen und zerklüfteten Berglandschaft oberhalb des Ortes einen seiner geliebten Kreisverkehre abzuringen.
Noch ein Zivilisations-Schmunzler: Auf halber Strecke des wildromantischen Pfads zur Piratenbucht Porís de Candelaria auf La Palma steht ein halb fertiges Toilettenhäuschen – vermutlich gemäß touristischer Bedarfsplanung mit Mitteln der Europäischen Union gefördert.
Auch ein Blick in die ältere und neuere Geschichte kann bisweilen ein Schmunzeln bescheren. So werden die lange Zeit quasi in Vergessenheit geratenen Ureinwohner der Kanarischen Inseln, die Guanchen, heutzutage allenthalben verehrt und mit diversen Denkmälern im Nachhinein unsterblich gemacht. Gerne werden sie als edle, friedliche und erhabene Menschen geschildert. Die historische Wirklichkeit sagt uns indes, dass die Guanchen in der Zivilisationswelt der Jungsteinzeit lebten, also so ähnlich wie Fred Feuerstein und die Seinen es gemacht haben. Ihr Zuhause war die Höhle. Vor allem auf Gran Canaria (in Artenara und in Guayadeque) und auf La Palma (in Buracas bei Las Tricias, in Puerto de Puntagorda und in Porís de Candelaria) gibt es bis heute Wohnhöhlen, die tatsächlich noch genutzt werden. Teilweise haben sie indes einen Komfort, von dem Feuerstein nur träumen konnte. Manche werden als Ferienhöhle mit Ureinwohner-Romantik genutzt. In Guayadeque auf Gran Canaria gibt es sogar zwei zünftige Höhlenrestaurants.
Große Freude bereitet mir das mittlerweile schon alt ehrwürdige Einkaufszentrum Cita in Playa del Inglés auf Gran Canaria – mit Currywurst, Kneipengasse und Sportschau fast schon eine Parodie auf deutsche Lebensart und das Klischee vom Neckermann-Tourismus.
Klasse finde ich auch den Valle-Boten aus La Gomera. Ich hab’ mir diese völlig abgefahrene Postille gekauft, mich auf die Terrasse vor Marias Bar gesetzt und – ganz ohne alkoholische Getränke – eine Stunde lang nur gelacht, geschmunzelt oder einfach fröhlich den Kopf geschüttelt. Satire pur aus dem Blickwinkel einer kleinen Insel, die mal am Arsch der Welt lag. „Von Vueltas bis zu den Lofoten – liest alle Welt den Valle-Boten“. Auf so etwas muss man erst mal kommen!
• Die Kanaren sind ja mit Lateinamerika, Ihrer derzeitigen Heimat, eng verknüpft. Haben Sie diese Bindung jenseits des Atlantiks auch schon gespürt?
Eigentlich täglich ein bisschen; denn auf den Kanarischen Inseln spricht man ein ähnliches Spanisch wie in weiten Teilen Lateinamerikas. Das ähnlich dem englischen „th“ gelispelte „c“ hört man hier wie dort so gut wie nie. Ein sympathisches Detail am Rande: Das auf den ersten Blick so seltsame Wort Guagua für Bus gibt es auch in der Quichua-Sprache der Indigenen Ecuadors – dort heißt es indes Kind oder auch klein. Die Bewohner der uruguayischen Provinz Canelones nennt man ganz offiziell Canarios, und tatsächlich wurde diese Provinz vor vielen Jahren von Emigranten der Kanarischen Inseln gegründet. Ich stoße auch immer wieder auf Gemeinsamkeiten in der Mentalität. In Lateinamerika wie auf den Kanaren sind die meisten Menschen eher etwas ruhiger, zurückhaltender, weniger laut als auf dem Festland der Iberischen Halbinsel. Auch das etwas distanzierte Verhältnis zum „Mutterland Spanien“ ist ähnlich ausgeprägt.
• Wie Sie mir gestanden, zieht es Sie auch heute noch auf die Kanarischen Inseln. Könnten Sie sich vorstellen, hier auch zu leben?
Oh ja! Puerto de la Cruz gehört für mich zu den schönsten und lebenswertesten Städten in ganz Europa. Und Europa sollte es für meine Frau Ingrid und mich schon sein, wenn das mit den Auslandseinsätzen altersbedingt einmal aufhören wird. Wir könnten uns auch vorstellen, die herrlichen Sommer in Berlin zu verbringen und in den schrecklich dunklen und kalten Monaten auf die Kanaren zu fliehen, vielleicht sogar jeweils an andere schöne Orte. Das Valle Gran Rey, Corralejos oder Las Palmas, vielleicht Los Cristianos oder Playa del Inglés mit dem unvergleichlichen Maspalomas-Strand wären uns sicher auch einen ganzen Winter wert.
• Welchen Rat würden Sie Besuchern der Kanarischen Inseln geben, sich unbedingt anzusehen?
Das ist Ihre schwierigste Frage. Die Inseln sind nämlich so vielfältig, dass für fast jeden Geschmack etwas dabei ist. Deshalb habe ich in meinem Büchlein extra ein Kapitel zu der Frage gemacht, was wo am schönsten ist.
Der Teide ist sicher eine Klasse für sich; er ist der höchste Berg Spaniens und steht noch dazu in einer filmreifen Mondlandschaft auf einer kleinen Insel. Die traumhaften Strände von Fuerteventura und Playa del Ingles/Maspalomas auf Gran Canaria spielen in einer Liga mit Miami Beach oder Kubas Varadero; durch den Sahara-Effekt wirken sie noch einen Tick origineller.
Der passionierte Surfer wird vielleicht nicht ganz so gerne durch die Lorbeerwälder von La Gomera streifen, obwohl sie unvergleichlich schön sind. Für ihn sind Fuerteventura, aber auch Caleta de Famara auf Lanzarote oder El Médano auf Teneriffa die bessere Wahl. Wer moderne Kunst liebt, wird von Lanzarote begeistert sein, wo der unvergessene César Manrique eine ganze Insel zum Kunstwerk gemacht hat – das ist einmalig auf der Welt. Den 2nd World War History Fan wird es zu der geheimnisumwitterten Villa Winter auf Fuerteventura ziehen – eine Fluchtburg Francos oder gar der Nazis oder einfach nur das Werk eines verdammt einflussreichen Verrückten? Selbst geübte Wanderer können sich auf La Palma die Füße platt laufen und immer andere Aussichtspunkte, tiefe Vulkankrater, gar in die steilen Felsen gehauene Tunnel finden. Einmalig, fast außerirdisch sind die verkrüppelten Wacholderbäume auf El Hierro, dicht gefolgt von den gespenstigen Drachenbäumen auf Teneriffa, La Palma und Gran Canaria.
Meine ganz persönlichen Favoriten sind
• Nachtwanderung durch die Dünen von Maspalomas auf Gran Canaria
• Besteigung des Teide auf Teneriffa – mit oder auch ohne Hilfe der Seilbahn
• Sonnenuntergang bei Maria im Valle Gran Rey auf la Gomera
• Fahrt durch Mondlandschaften und Farbenpracht auf Lanzarote
• Spaziergang durch den prähistorischen Zauberwald von La Gomera
• Blick auf den Teide von La Gomera aus
• Ein romantisches Dinner im Jardín Tropical in Playa de las Américas auf Teneriffa oder in der Casa Montesdeoca in Las Palmas auf Gran Canaria
• Wanderung zu den Quellen von Marcos und Cordero auf La Palma
• Fahrt über das abenteuerliche Sträßchen nach Cofete und zur Villa Winter auf Fuerteventura
• Entdecken der wilden Buchten im Nordwesten von La Palma
• Blicke in den Sternenhimmel über La Palma
• Drei Tage entspannen in Puerto de la Cruz auf Teneriffa.
Vielleicht noch ein literarischer Tipp für Feriengäste: Lesen sie einen Roman, der auf derjenigen Insel spielt, auf der Sie gerade Urlaub machen. Das kann sehr inspirierend sein und – je nach Qualität des Buches – Einblicke geben, die man sonst nicht so ohne Weiteres bekommt.
• Welchen Rat würden Sie den deutschsprachigen Zuwanderern geben, die auf den Kanaren ihre neue Heimat gefunden haben?
Spanisch lernen! Denn trotz zehn Millionen Touristen pro Jahr sind die Kanaren für uns Deutsche doch eine ganz andere Welt mit ihrer ganz eigenen Kultur. Noch dazu eine Inselwelt, wo heute vielleicht nicht mehr jeder jeden, aber doch viele Leute einander kennen und teilweise noch sehr traditionell verwurzelt sind. Das Ganze kann man aus meiner Sicht am ehesten verstehen und wertschätzen, wenn man die Sprache der Einheimischen gut versteht.
Man sollte auch nicht erwarten, dass alles so läuft, wie wir es aus unserer Heimat gewohnt sind. Geduld kann sehr hilfreich sein, einfach mal entspannen, statt immer auf Funktionieren zu setzen. Auch Höflichkeit und Harmonie sind Tugenden, die so manchem wichtiger sind als konsequente Offenheit und Ehrlichkeit.
Am wichtigsten aber scheint mir zu sein: Erwarten Sie trotz so viel Sonne, Spaß und netter Leute nicht das Paradies. Spanien hat nach vielen Jahren rasanter Modernisierung große wirtschaftliche Probleme und viele, viel zu viele, vor allem jugendliche Arbeitslose. Ungeachtet der touristischen Glitzerwelt gehören die Kanarischen Inseln auch nicht zu den wohlhabenden Regionen Spaniens. Das alles muss den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. Wer dort lebt, erfährt diese Problematik – anders als der Feriengast – als tägliche Realität und muss damit umgehen lernen.
Vielen Dank für Ihre recht bildhafte Ansicht zu den Kanarischen Inseln, die übrigens auch zum Schmunzeln anregt. Es ist ein interessanter Blick vom deutschen Berlin, dem historisch verbundenen Lateinamerika und direkt von den Kanarischen Inseln.
Zur Person
Daniel A. Kempken wurde im Jahre 1955 in Mönchengladbach geboren. Er hat die Juristerei studiert und danach als Rechtsanwalt und Notar gearbeitet. Davor und zwischendurch war er Fließbandarbeiter, Trödler, ehrenamtlicher Sozialarbeiter und Reiseleiter. Seit 1989 ist er in der Entwicklungszusammenarbeit und im Auswärtigen Dienst tätig. Seine Reisen führten ihn in diverse Länder vor allem in Lateinamerika. Gelebt hat er in Deutschland, Spanien, Sambia und Ecuador. Seit 2012 arbeitet er an der Deutschen Botschaft Honduras.
Seit 2005 gibt er unter dem Titel „Schlaglichter“ Reiseführer heraus. Die „Schlaglichter“ sind Lesebücher und Reiseführer zugleich, unterhaltsame Büchlein für Leute, die
• gerne schmökern
• aber kein dickes Buch mit sich herum schleppen wollen,
• sich im Land zurecht finden möchten,
• die touristischen Highlights und nicht so Bekanntes kennenlernen wollen,
• Spaß an Kuriositäten haben,
• Hotels und Restaurants mit Stil und Authentizität bevorzugen,
• und wissen möchten, welche Bücher und Filme es über das Land gibt.
Es gibt „Schlaglichter“ über Ecuador, Berlin, die Kanarischen Inseln und Uruguay. Ein neues Buch über Honduras ist in Arbeit. Mehr auf www.danielkempken.de
Von Dietmar A. Hennig