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• Martina, Sie bringen mit Ihrer Form der Therapie vor allem behinderte Menschen und Tiere zusammen. Welchen Vorteil bietet die tiergestützte Therapie?
Pferde kennen keine Vorurteile. Sie lieben bedingungslos und eignen sich deshalb hervorragend für die Therapie. Außerdem sind Pferde für mich Wesen, die uns einen Spiegel vorhalten. Sie reagieren direkt auf uns und unsere Ausstrahlung. Bin ich gestresst, wird das Tier mit Nervosität reagieren. Bin ich entspannt, ist es auch das Tier. Außerdem unterscheiden Pferde sehr wohl, ob da ein Kind oder ein Erwachsener, ein behinderter oder nichtbehinderter Mensch steht. Allein der Kontakt zu dem Tier macht oft einen großen Unterschied aus. Viele meiner Kunden haben körperliche oder geistige Behinderungen oder manchmal auch beides. Durch den Kontakt mit dem Tier werden die Kinder und Jugendlichen stimuliert. Das Gehirn wird angeregt und auch der Körper wird auf eine Weise beansprucht, die sie sonst nicht kennen. Sie erleben ihre Umgebung auf eine neue Art, fühlen den Kontakt zum Tier, überwinden eigene Grenzen und Ängste, trauen sich etwas zu und gewinnen dadurch neues Selbstvertrauen. Unsere Pferde leben im Offenstall. Insgesamt drei von ihnen sind ausgebildete Therapiepferde, die besonders erfahren, geduldig und nervenstark sind. Wenn ich zum Beispiel einen Rollstuhlfahrer unter das Pferd schiebe steht dieses ganz still. Der Behinderte beginnt nun das Tier zu bürsten. Dabei bewegt er Körperteile, die er sonst nicht braucht, lernt, was Fürsorge bedeutet und erlebt sich selbst als Teil der Herde und des ganzen Umfelds. Das sind sehr wichtige Schritte. Außerdem haben wir auch noch acht Hunde, die durch ihr freundliches Wesen auf die Behinderten vorurteilsfrei zugehen und ihre Zuneigung zeigen. Das sind wichtige Erfahrungen für die Betroffenen.
• Welche Kinder und Jugendliche therapieren sie auf diese Weise und wie sehen die Erfolge aus?
Wir haben hier sehr viele Kinder mit geistigen und körperlichen Behinderungen, mit Down-Syndrom oder solche, die als hyperaktiv gelten. Sie kommen aus Behindertenstätten oder anderen sozialen Einrichtungen. Für viele gehören tägliche Medikamentengaben zum Alltag. Wir haben zum Beispiel einen Jungen mit dem ADHS-Syndrom, also mit einem hyperaktiven Charakter. Er ist oft sehr aggressiv und kann sich nur schwer konzentrieren. Sobald dieses Kind auf dem Pferd sitzt, kann man mit ihm Lieder singen, er malt und ist in der Lage, auf ein Ziel hinzuarbeiten. Wie ausgewechselt ist er dann. Zur Belohnung gibt es zum Beispiel einen Ausritt zu einem nahe gelegenen Spielplatz mit Picknick. Das ist für viele Kinder ein Ansporn und sogar dieser sonst so schwierige Junge lässt sich davon motivieren. Ich arbeite immer mit einer Praktikantin zusammen. Derzeit ist Anja, eine Logopädin, bei uns. Wir haben festgestellt, dass sogar Sprechübungen auf dem Pferderücken besser gehen. Eine Therapie bei uns ist immer individuell auf den Behinderten zugeschnitten. Durch den Aufenthalt in der Natur ist die Atmosphäre entspannter und wirkt nicht wie eine Therapie, die ein Ziel vor Augen hat. Wir lassen geschehen, uns vom Pferd tragen und allein durch dieses Ambiente geschehen oft unglaubliche Veränderungen. Außerdem bieten wir seit Jahren Reitferien für Behinderte an. Wir vermieten Appartements in Puerto de la Cruz. So kann die Familie Urlaub und Therapie perfekt verbinden. Viele kommen seit Jahren immer wieder.
• Wie geht es den Familienangehörigen während der Therapie?
Auch sie genießen, denke ich, eine Auszeit in der Natur und entspannen sich. Oft führe ich auch mit den Angehörigen lange Gespräche. Ein behindertes Kind ist eine Belastung für die Beziehung und die ganze Familie. Es braucht sehr viel Aufmerksamkeit, oft ein Leben lang. Manchmal wird das Paar auch mit Schuldfragen belastet. Warum ist das Kind so geboren und wer trägt die Schuld daran? Ich kenne Familien, die ihren Söhnen verbieten, die Schwiegertochter zum Familientreffen mitzubringen, weil sie kein gesundes Kind zur Welt gebracht hat. Es wird als Versagen hingestellt. Oft leiden auch die Beziehungen im Freundeskreis, weil die Freunde nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen oder weil einfach nur noch wenig Freizeit bleibt, um Freundschaften zu pflegen. Dabei ist gerade der Rückhalt aus dem Familien- und Freundeskreis so wichtig, um mit der Situation klarzukommen. Meine Aufgabe besteht oft darin, Mut zu machen und den Eltern den Rücken zu stärken.
• Vor Kurzem war eine Behindertengruppe aus Murcía zu Besuch, wie kam es dazu?
Ja, das stimmt. Es handelte sich um eine Gruppe von 21 behinderten Menschen, die aus sozial schwachen Familien aus Murcia stammten. Sie wurden vom Rotary Club in Puerto de la Cruz für eine Woche zu Ferien auf Teneriffa eingeladen. Auf deren Anfrage bereiteten wir ihnen einen lustigen Tag mit Kontakt und Lehrreichem über Pferde, mit Spiel und Spaß und nicht zuletzt einem Barbecue in unserer neu gestalteten Barbecue-Ecke. Ab September bieten wird diese Idylle auch anderen Gruppen an. Direkt an unserem neuen Teich, in dem wir Buntbarsche züchten wollen, können dann nach Absprache auch Wandergruppen einkehren. Nach der Wanderung in den Bergen von La Guancha gibt es dann ein Barbecue in der Natur mit Wein aus der Region. Auch Behindertenwerkstätten oder Sonderschulen können uns als Ausflug buchen. Leider sind aber durch die Krise so viele Zuschüsse gestrichen worden, dass Ausflüge momentan nicht durchgeführt werden können.
• Auf der Koppel sieht man auch einige recht wacklige Tiere, was hat es mit ihnen auf sich?
Ich werde oft von der Umweltschutzeinheit der Guardia Civil, Seprona, kontaktiert, wenn irgendwo ein verletztes, ausgesetztes oder einfach nur zurückgelassenes Pferd gefunden wird. Ich habe es tatsächlich erlebt, dass Pferdehalter angesichts eines halb verhungerten und verdursteten Pferdes lapidar meinten: „Das habe ich total vergessen.“ Die braune Herreña zum Beispiel wurde uns von El Hierro gebracht. Sie war in einem Barranco ausgesetzt worden und total ausgehungert. Jetzt, nach einem halben Jahr, hat sie sich gut erholt. Der jüngste Neuzugang wurde als Rennpferd missbraucht. Immer noch finden hier Rennen auf Asphalt statt. Die Pferde werden viel zu jung unter viel zu harten Bedingungen geritten. Bei diesem Pferd hat das zu Missbildungen an den Vorderhufen geführt. Eigentlich dachte ich, dass ich diesem Tier nicht mehr helfen kann. Aber wir haben hier einen sehr guten Tierarzt, der auch eindeutig ausspricht, wenn es besser ist, ein Tier einzuschläfern, um sein Leiden zu beenden. Deshalb wunderte es mich, dass er bei diesem Wallach zuversichtlich war. Inzwischen hat er orthopädische Hufe, ist entspannt, hat zugenommen und ist tatsächlich auf dem Weg der Besserung. Ich kann nicht alle Pferde behalten und suche dann oft nach einem guten Platz, wenn sie aufgepäppelt sind.
• Martina, Ihr Herz für Tiere und behinderte Menschen schlägt aber nicht nur auf Teneriffa, sondern auch in Kenia. Was verbirgt sich hinter dem Verein Kinderhilfsprojekte Harambee e.V.?
Angefangen hat alles mit einer langjährigen Mieterin von uns, Christtraude Weber. Die ältere Dame hatte 25 Jahre als Missionarin und Krankenschwester in Äthiopien und Kenia gearbeitet. Ich selbst habe als Kind mit meinen Eltern auch oft Afrika bereist und vieles, was sie uns erzählte, kam mir bekannt vor. Frau Weber spendete immer noch für afrikanische Projekte. Wir unterhielten uns viel und irgendwann gründeten wir einen eigenen Verein, weil wir direkte Hilfe leisten und nicht nur Geld geben wollten. Unter den zehn Gründungsmitgliedern waren Entwicklungshelfer, Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, kurz Menschen, die wie wir die Lage kannten und helfen wollten. Wir haben in Nairobi inzwischen eine Tagesstätte für bis zu 100 behinderte Kinder und Jugendliche aufgebaut. Derzeit bauen wir gerade unser eigenes Zentrum und sind immer dankbar für Sponsoren, die uns mit Baumaterial oder auch Spenden helfen. Alle, die mithelfen, werden auf unseren Webseiten und Bautafeln auch genannt.
Warum kümmern Sie sich ausgerechnet um behinderte Kinder?
In Afrika haben es Frauen, die ein behindertes Kind bekommen, besonders schwer. Man sagt ihnen nach, sie hätten einen Pakt mit dem Teufel und das behinderte Kind sei die Frucht dessen. Man behandelt sie wie Aussätzige. Meist werden sie mit ihren Kindern verstoßen. Dabei haben diese Frauen oft noch andere Kinder, die sie ernähren müssen. Sie können aber nicht arbeiten gehen, wenn sie ein behindertes Kind zu Hause haben. Ein fataler Teufelskreis. Die einzige Lösung: Die Frauen binden ihre meist schwerstbehinderten Kinder ans Bett und gehen dann zur Arbeit. Die Kinder sind den ganzen Tag alleine, werden nicht versorgt und liegen in ihrem Kot und Urin. Oder aus Mangel an behindertengerechten Hilfsmitteln, werden die Kinder auf einfache Schemel gesetzt, die umgedreht werden. Die nach oben ragenden Stuhlbeine dienen dann als unbequeme, aber einzige Stütze. Die Lebensumstände sind für alle Beteiligten menschenunwürdig und sehr traurig.
Wie sieht ihre Hilfe konkret aus?
Im Moment ist unser Zentrum noch in einem gemieteten Gebäude, aber wir arbeiten wie gesagt an einem eigenen. Dort betreuen wir momentan rund 50 Familien beziehungsweise ihre behinderten Kinder, während sie arbeiten. Die Mütter arbeiten turnusweise in der Betreuung mit. Eine Sozialarbeiterin und ein Student sind von uns fest angestellt. Sie kümmern sich um die Organisation. Bei Kindern, die in eine normale Schule integriert werden können, sorgen wir dafür, dass sie aufgenommen werden. Diejenigen, die schwerstbehindert sind, sind jeden Tag zur Tagesbetreuung im Zentrum. Unsere Schützlinge werden regelmäßig einem Arzt vorgestellt, sie bekommen Medikamente, Vitamine und vor allem regelmäßiges Essen. Ohne Nahrung verfällt der geschwächte Körper immer mehr. Außerdem ist es wichtig, dass wir mit Ärzten zusammenarbeiten, die vom Westen geprägt sind. Sie beraten uns. Mütter, die mit ihren schwerbehinderten Kindern einen afrikanischen Arzt aufsuchen, werden oft mit der Empfehlung abgespeist, dass man dieses Kind am besten einschläfern sollte. Für uns sind solche Erzählungen unvorstellbar und unfassbar. Dort sind sie ganz normal.
Wenn wir, meist zwei Mal im Jahr, dorthin reisen, haben wir immer auch Sachspenden dabei. Das letzte Mal waren es zum Beispiel 10 Reha-Buggys, zwei Rollstühle für Kinder und weitere zwei für Erwachsene, die uns die deutsche Paralympic-Sportlerin Birgit Kober geschenkt hat. Die Speer- und Kugelwerferin wurde zur Sportlerin des Jahres 2012 gekürt. Sie, die durch einen ärztlichen Behandlungsfehler an den Rollstuhl gebunden ist, unterstützt unsere Arbeit. Deshalb hat sie uns im Februar die beiden Rollstühle mitgegeben. Außerdem sammeln wir Behindertenspielzeug und andere Hilfsmittel. Das letzte Mal haben wir unter anderem 50 Zahnbürsten und Zahnpasta mitgenommen und erklärt, wie wichtig die Mundhygiene ist. Dabei brauchen wir auch immer wieder die Unterstützung von Fluggesellschaften, die unsere Hilfsmittel kostenlos mitnehmen. Lufthansa, Swiss Air und Ethiopian Airlines haben uns schon oft geholfen. Manchmal haben wir auch Glück und finden Mediziner, die uns unterstützen. So hatte sich zum Beispiel ein Zahnarzt bereit erklärt unsere Schützlinge durchzuchecken. Außerdem haben wir eine deutsche Krankenschwester, die uns trotz anstrengendem Job immer wieder waschbare Windelhosen näht. Wegwerfwindeln sind nicht bezahlbar und außerdem sind die Müllberge dort schon hoch genug. Der Gewinn aus unserem Chiringuito, den wir ab September auf unserer Finca betreiben, fließt übrigens auch in das afrikanische Hilfsprojekt. Unser Ziel ist es, dort humanitäre Hilfe zu leisten, von der die Menschen durch gemeinsamen Einsatz profitieren. Dabei setzen wir aber auf die Mithilfe der Mütter. Sie müssen in unserem Zentrum mitarbeiten und tun dies in der Regel auch gerne. Den Behinderten versuchen wir ein würdiges und möglichst schmerzfreies Leben zu gewährleisten. Außerdem führen wir Aufklärungskampagnen durch, damit die Vorurteile gegenüber Behinderten und ihren Familien verschwinden. Es gibt noch sehr viel zu tun und wir sind für jede Hilfe dankbar. Spenden und Patenschaften sind uns immer willkommen.
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Martina, wir danken Ihnen sehr für dieses Gespräch und hoffen, dass Sie sowohl auf Teneriffa, als auch in Kenia weiterhin erfolgreich sind. Wer die Arbeit des Vereins unterstützen möchte, findet unter www.kinderhilfsprojekte-harambee.de oder über www.riendasvivas.com weitere Informationen und Kontaktadressen. Per Email ist Martina Richter via info@kinderhilfsprojekte-harambee.de oder info@riendasvivas.com erreichbar.
Von Sabine Virgin