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Erstmals wurde die ungewöhnliche Stadtführung in der Weihnachtszeit in das Programm der Stadt eingebaut. Die Resonanz war so groß, dass die Route nun zum festen Bestandteil werden soll. Sie findet im Moment jeden letzten Donnerstag des Monats um 16 Uhr statt. Ab November 2013 bis März 2014 wird sie voraussichtlich im zweiwöchentlichen Rhythmus erfolgen. Vor allem wird der Spaziergang in spanischer und deutscher Sprache angeboten. Auf Nachfrage sind aber auch englische und französische Aufführungen möglich.
„Mit diesem Spektakel bieten wir unseren Besuchern eine ganz ungewöhnliche Art, unsere Stadt und ihre Geschichte kennenzulernen. Kunst fusioniert mit unserer einmaligen Architektur und dem magischen Ambiente der Stadt. Außerdem erhalten die Geschäfte vor Ort die Möglichkeit, an diesem Tag bis 21 Uhr zu öffnen. Bei organisierten Touren wird im Anschluss an den Spaziergang ein etwa 90-minütiger Aufenthalt in La Orotava eingeplant. In dieser Zeit können die Besucher einkaufen, bummeln oder einkehren“, erklärte der Beauftragte für Stadtentwicklung, Felipe David Benitez Pérez, in einer Pressekonferenz, in der diese Initiative vorgestellt wurde. Mit am runden Tisch und genauso begeistert von der Idee zeigte sich Esther Pérez Ravelo, in ihrer Funktion als Repräsentantin für TUI Intercruises. Ab der Wintersaison wird der theatralische Spaziergang ein Teil des Landprogramms für die Passagiere von „Mein Schiff I“ sein, das regelmäßig in Santa Cruz vor Anker geht.
Das Geschichts-Stückchen
In dem Theaterstück „Un lugar llamado Orotava“ tritt Antonia Jaster als personifizierte „Orotava“ auf. Sie führt das Publikum in ihre schönsten Ecken, lässt es an Schauergeschichten und Geheimnissen teilhaben. Angehimmelt wird sie dabei von Amador, dargestellt von Manuel Luis, der seine „Orotava“ uneingeschränkt verherrlicht. Witz und Komik wechseln sich dabei mit Tragischem und Identischem ab. Untermalt wird das Geschehen durch die Musiker Juan Carlos León, Jason Luis Álvarez und Gerardo Rodríguez, die mit Gitarren und Saxofon mal für leicht beschwingte und mal für tragische Töne sorgen.
Der Spaziergang – ein theatralisches Erlebnis
Der Spaziergang beginnt im Rathaus, wo Amador in den höchsten Tönen von seiner Angebeteten „Orotava“ schwärmt. Ihre Fruchtbarkeit und bezaubernde Ausstrahlung rühmt er in den höchsten Tönen. Er lädt das Publikum ein, mit ihm die hundert schönsten Ecken Orotavas kennenzulernen. „Die freundlichen Bewohner dieser Stadt werden euch unterwegs mit einem Lächeln grüßen“, verspricht er. Voller Elan fordert er die Zuschauer auf, ihm und „seiner Orotava“ zu folgen. Schon vor der Rathaustür ist der erste Zwischenstopp. Dort tanzt Antonia Jaster und erzählt als „Orotava“ von ihren weltberühmten Sandteppichen, die aus Zigtausenden Blüten und Natursand aus den Cañadas geschaffen werden.
Seit dem 19. Jahrhundert gibt es diese Tradition und Amador wundert sich, dass „Orotava“ sich an all das „erinnern“ kann. „Wie klug seine Angebetete doch ist“. Eine Prise Humor ist eben genau die richtige Würze für den kurzweiligen Spaziergang.
Weiter geht es durch enge Gässchen abseits der Hauptstraßen. Dort wartet dann auch ein „Blinder“ mit einem Schauermärchen aus dem Jahr 1672 auf. Anatolio Luis schlüpft in die Rolle des Erzählers. Er berichtet von den beiden Patern Fray José de Antequera und Fray José de Montemayor, die im Hause des Statthalters Don Juan Franchy in Streit geraten. Sie erzürnen sich so sehr, dass Montemayor plötzlich ein Messer hervorzieht und es seinem Gegenüber mehrmals in den Leib rammt. Padre Antequera bricht zusammen und stirbt 24 Stunden später. Sein Widersacher ist unterdessen nach Hause gelaufen, hat sich den Bart rasiert und ist nach Garachico geflohen. Damals war das „weit weg“ von Orotava.
Nach diesem Schauermärchen sitzt ein „altes Weib“ auf der Straße und bettelt, laut jammernd und klagend. Amador, der „seine Stadt“ so nicht sehen will, scheucht die Bettlerin weg. Doch da springt sie furios auf und entpuppt sich als „Orotava“. „Auch das bin ich“, schreit sie im Weggehen und betont, dass auch die dunklen Seiten zu ihrer Persönlichkeit gehören. Sie wird abgelöst von einem Pater, dargestellt von Ulises Hernández, der forschen Schrittes, betend und segnend durch die Gasse eilt. Er fordert auch vom Publikum sein „Amen“ ein. Es geht vorbei an der Casa de los Balcones bis zum Hospital Santissima Trinidad. Dort im Eingangsbereich wird getanzt, gelacht und philosophiert. Orotava beklagt sich, dass sie niemand liebt. Doch Ulises überzeugt sie vom Gegenteil, indem er ihr all die vielen Notizen vorliest, die Naturforscher, Schriftsteller und andere berühmte Persönlichkeiten in ihren Reisetagebüchern über sie festgehalten haben. Dort werden die klare Luft, das gute Wasser, die köstlichen Früchte, die Drachenbäume und Palmen und noch vieles mehr gerühmt. Aber auch die Bildung der Menschen, ihre Freundlichkeit und ihr Faible für Kunst, Kultur und Wissenschaften wird immer wieder erwähnt. Orotava war schon in der Vergangenheit eine Stadt mit einer stilvollen Lebenskultur. Vom Hospital aus geht es über den Botanischen Garten mit seinem aromatischen Duft bis zum Jardín de la Marquesa del Quinta Roja. Über dem fast englisch anmutenden Park thront ein weißes Mausoleum aus edlem Marmor. Es wurde im 19. Jahrhundert von der Gräfin gebaut, weil ihrem Sohn Don Diego vom damaligen Stadtpfarrer die Beisetzung im Familiengrab verweigert wurde. Der Grund: Don Diego war ein Freimaurer und damit für die katholische Kirche ein Abtrünniger, der wie Mörder, Selbstmörder und andere gesellschaftliche Außenseiter nur ohne kirchlichen Segen und nicht in geweihter Erde beigesetzt werden konnte. Weinend fleht die Mutter um die letzte Ruhe für ihren verstorbenen Sohn. Als sie dabei auf taube Ohren stößt, ließ sie das Mausoleum bauen. Letztlich wurde Diego aber nie darin begraben, denn heimlich ließ ihn die Mutter doch in der Familiengruft beisetzen.
Der Park liegt direkt an der zentralen Plaza des Ortes. An den würzigen Duft, der durch die üppige Vegetation, gemischt mit Teide-Bergluft und Meeresbrise, wird im Laufe des Spaziergangs mehrmals hingewiesen. So auch am Schluss des Rundgangs auf der Plaza de la Constitución, wo die Besucher noch einmal aufgefordert werden, Orotava mit allen Sinnen zu begegnen und zu genießen. Sogar das lustige Abschiedstänzchen darf nicht fehlen und dabei wird das Publikum einfach zum Mitmachen animiert.
Der theatralische Spaziergang ist eine „etwas andere“ und sehr amüsante Art, La Orotava kennenzulernen. Er bietet Residenten genauso interessante Informationen, wie Urlaubern. Wer danach noch in einem der einladenden Lokale ein Häppchen isst und ein Gläschen Orotava-Wein dazu trinkt, hat sich einen schönen Tag geschenkt. Der Ausflug bietet sich zum Beispiel auch an, wenn sich Besuch aus der Heimat angekündigt hat. Die Route kostet 15 Euro und dauert rund 90 Minuten. Sie kann über das Tourismusbüro unter der Telefonnummer 922 32 30 41 gebucht werden. Dort sind auch Anfragen über verschiedene Sprachen möglich.
Von Sabine Virgin