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Professor Mnich ist Sprecher der Geschäftsleitung des Instituts für Bahntechnik Berlin bei der Technischen Universität Berlin und Vertreter der Planungsgemeinschaft Maglev Tenerife.
Herr Professor, insbesondere in den Hauptverkehrszeiten wird dem Autofahrer auf Teneriffa bewusst, dass die derzeitigen Verkehrslösungen nicht dauerhaft so bleiben können. Doch wie sieht die Situation konkret aus?
Die Insel Teneriffa hat nicht nur ein Verkehrsproblem; der Insel fehlen aus meinen Beobachtungen nachhaltige Zuwachsraten im Tourismus. Teneriffa ist und bleibt im Wesentlichen eine Touristeninsel. Die Frage ist nur, welche Touristen werden zusätzlich die Insel besuchen. Die vorübergehende Belebung auf den kanarischen Inseln infolge der politischen Spannungen in Nordafrika dürfte kein Ruhekissen sein. Der Touristenboom sollte aber für neue Investitionen genutzt werden. Nordafrika war und wird bestimmt wieder für Touristen attraktiv. Die Insel Teneriffa hat gute Aussichten zusätzliche Touristen als Insel der Neuen Technologien (z.B. erneuerbare Energien, Kommunikationstechnologien, usw.) zu gewinnen, wie das auch in Ihrem Interview mit dem Inselpräsidenten Ricardo Melchior in Ihrer Ausgabe 115 vom April diesen Jahres zu lesen ist.
Im Norden der Insel ist bekanntlich eine hohe Arbeitslosigkeit. Im Süden der Insel fehlen Arbeitskräfte. Insofern wird eine schnelle und umweltfreundliche Bahnverbindung auf der Insel generell gebraucht. Erstaunlich ist nur, dass auf der Insel die Forderung nach Bahnverbindungen nicht neu ist. Offensichtlich hat es schon zu sehr frühen Zeiten fortschrittliche Politiker oder Fachleute auf der Insel gegeben, die sich vor dem Autoboom Gedanken über Bahnstrecken auf Teneriffa gemacht haben. Die erste dokumentierte Eisenbahnstudie stammt – man kann es kaum glauben – aus dem Jahre 1889! Viele weitere Studien folgten in den vergangenen über 100 Jahren; die aktuellen Eisenbahnstudien sind aus den Jahren 2009/10/11. Hätte man kürzere Eisenbahnstrecken vor 100 oder 50 Jahren gebaut, wäre es bestimmt eine Attraktion auf der Insel gewesen. Wer heute eine Eisenbahnstrecke auf Teneriffa fordert, lebt einerseits in der Vergangenheit, und anderseits fordert er bestimmt keine umweltfreundliche und Kosten überschaubare Verkehrslösung für Teneriffa. Eine Touristenattraktion auf keinen Fall, denn auf dem Festland kennt man die Eisenbahn in allen Variationen schon über 170 Jahre von der Straßenbahn, S- und U-Bahnen, Regionalbahnen bis zu den Hochgeschwindigkeitsbahnen wie z. B. den Shinkansen (seit 1964 in Japan, inzwischen über 2.500 Kilometer), den TGV (seit 1981 in Frankreich, inzwischen 1.936 Kilometer), den ICE (seit 1991 in Deutschland, etwa 900 Kilometer) und den deutschen ICE Velaro E (seit 2000 in Spanien, inzwischen über 1.500 Kilometer) und schließlich den CRH (seit 2008 in China, inzwischen über 8.000 Kilometer).
Zur Erinnerung: Die Straßenbahn in Santa Cruz seit erst 2007/2009! Als Verkehrslösung eine gute Entscheidung; als technische Verkehrslösung über 40 bis 50 Jahre gegenüber dem Festland im Rückstand. Denn es gibt seit über 30 Jahren modernere und umweltfreundlichere Bahntechnik-Produkte weltweit (z.B. People Mover, Monorail, Magnetbahnen für Nahverkehr, usw.). Insbesondere gibt es Bahnlösungen mit geringeren Erschütterung und niedrigeren Geräuschentwicklungen im Stadtbereich, als die realisierte Straßenbahn in Santa Cruz.
Nach meiner Kenntnis der Inselsituation fehlt für die Insel generell ein zukunftsweisendes und integriertes Gesamtverkehrskonzept für die Verkehrsträger Straße, Luft und Bahn. Die realisierten Verkehrslösungen auf der Insel, wie die Autobahn und die Straßenbahn, sind wichtige Projekte gewesen, lösen aber viele verkehrliche Inselprobleme nicht. So auch der Betrieb der beiden Flughäfen; hier muss entweder eine schnelle Bahnverbindung zwischen den Flughäfen her oder ein Ausbau eines leistungsfähigen Südflughafens und Schließung des unrentablen und witterungsabhängigen Nordflughafens. Insgesamt ist also eine verkehrliche Nord-Südverbindung als schnelles, modernes und umweltfreundliches Bahnsystem von großer Bedeutung für das wirtschaftliche Überleben der Insel Teneriffa. Denn attraktive Sonneninseln gibt es auf der Welt in naher und weiterer Entfernung reichlich. Sonne und Meer sind auch nicht mehr die alleinigen Wahlkriterien für den Urlaub in einer heute sehr technologieorientierten Gesellschaft.
Sie sind Spezialist für den schienengebundenen Verkehr, hier favorisieren Sie die Lösung Magnetschienenbahn. Wie kam man eigentlich auf den Gedanken, diese außergewöhnliche Lösung zu prüfen, und wodurch kamen gerade Sie ins Spiel?
Der erste und wichtigste Anstoß für dieses Projekt kam durch ein Gespräch zwischen dem Inselpräsidenten, Herrn Ricardo Melchior, und dem deutschen EU-Abgeordneten, Herrn Joachim Zeller, im Januar 2010 sowie durch weitere Gespräche mit der deutschen Bau- und Bahnindustrie (Bögl, Siemens, ThyssenKrupp und IABG). Die IFB Institut für Bahntechnik GmbH und das Ingenieurbüro Vössing sind vielleicht die einzigen unabhängigen und Technologie neutralen Ingenieurunternehmen weltweit, die sich seit über 25 Jahren mit der Bearbeitung von Bahnprojekten für Eisenbahn- und Magnetbahnstrecken „im System“ beschäftigen. Es liegen nicht nur Kenntnisse in der Planung unterschiedlicher Bahnprojekte für den Nah-/Stadt-, Regional- und Fernverkehr vor, sondern auch in der technischen Auslegung und Bewertung der Vor- und Nachteile, der betrieblichen Auslegung und Optimierung sowie in der Untersuchung der Wirtschaftlichkeit (Investitions- und Betriebskosten). Daneben werden Aspekte der Gesamtverkehrssituation untersucht und analysiert wie auch die der verkehrs-, arbeitsplatz- und industriepolitischen Aspekte. Erfahrungsgemäß reicht heute bei der Bearbeitung vieler Verkehrsprojekte das normale Ingenieur know how nicht mehr aus. Zusätzlich haben die Ingenieure des IFB umfangreiche Versuchs- und Betriebserfahrungen in der Eisenbahn- und insbesondere in der Magnetbahntechnik, sowie viele Ingenieurexperten des IFB sind anerkannte Gutachter für die Genehmigung und Zulassung konventioneller und neuer Bahnsysteme. Also ein umfassendes Verkehrs- und Ingenieur know how, welches für das Bahnprojekt auf Teneriffa erforderlich ist. Denn über 100 Jahre Eisenbahnplanung auf Teneriffa und bisher keine Realisierung einer Bahnteilstrecke stimmt schon nachdenklich. Insofern lag es nahe, dass sich der Präsident von Teneriffa und die deutsche Bau- und Bahnindustrie einer solchen kompetenten Beratung der Planungsgemeinschaft (Vössing und IFB) bedienen.
Ihre Planungsgemeinschaft hat den ersten Teil der Machbarkeitsstudie vorgelegt und klare Vorteile der Magnetschienenbahn gegenüber der konventionellen Lösung benannt. Welche sind das vor allem?
Unser Ziel war von Anfang an eine Gesamtstrecke, das heißt die aus der Eisenbahnplanung bekannte Nord- und Südstrecke von insgesamt etwa 120 Kilometern, zu untersuchen. Das Betriebskonzept sieht vor, die Nordverbindung zur Hauptstadt (Fahrzeit 26 Minuten), die Südverbindung zur Hauptstadt (34 Minuten), die Durchverbindung von Nord- und Südstrecke (Gesamtfahrzeit zwischen den Endstationen 56 Minuten) und die Express-Verbindung der beiden Flughäfen (21 Minuten). Dieses Gesamtkonzept gibt es für die Eisenbahnstrecke nicht. Die weiteren wesentlichen Vorteile der Magnetbahn sind: geringer Flächenbedarf durch die Trassierung und Technik und damit Reduzierung der Enteignungs- und Grunderwerbskosten und damit Reduzierung der Planungsprozesse; eine stärkere Bündelung mit der Autobahn und Reduzierung des Brücken- und insbesondere des Tunnelanteils gegenüber den Eisenbahnplanungen. Erfahrungsgemäß ist der hohe Tunnelanteil der Eisenbahn von etwa 41 km der etwa 120 km Streckenlänge sehr Risiko und Kosten behaftet. Außerdem ist eine unkalkulierbare Bauzeit wegen der unklaren Bodenverhältnisse mit absoluter Sicherheit zu erwarten. Nicht zu vernachlässigen ist die Entwässerungsproblematik beim Eisenbahnfahrweg. Beim Magnetbahnfahrweg sind diese Aspekte nur im geringen Umfang gegeben. Je nach Trassenvorschlag kann durch die höhere Steigfähigkeit und flexiblere Trassierung der Magnetbahn der Tunnelanteil bis auf einige wenige Streckenkilometer (nur 6 bis 17 Kilometer) reduziert werden. Weitere Optimierungspotentiale sind noch vorhanden.
Mit der Magnetschienenbahn würden zeitlich völlig neue Dimensionen eröffnet. Bei einer geplanten Fahrzeit von etwa 20 Minuten zwischen den Flughäfen Nord und Süd liegt eine organisatorische Zusammenlegung beider Verkehrspunkte nahe. Werden solche Veränderungen in einem neuen Gesamtverkehrskonzept für die Insel berücksichtigt und welche weiteren ergeben sich aus der Realisierung des Bahnprojektes?
Im Rahmen unserer Studie (Phase 1) sind alle Überlegungen dieser Art eingeflossen. Wir haben auch angeregt, in der 2. Phase auch den gesamten Busverkehr als Zubringer zu den Magnetbahnstationen neu zu organisieren. In dem Zusammenhang ist es sinnvoll darüber nachzudenken, ob die Insel mit einem modernen ausgebauten Südflughafen auskommt. Von der verkehrlichen und wirtschaftlichen Betrachtung ist sicherlich eine Konzentration der Flughafeninfrastruktur die bessere Lösung, da bekanntlich der Nordflughafen auch öfter Witterungsprobleme hat. Insofern ist zur Verbesserung des Gesamtverkehrs auf der Insel ein Gesamtverkehrskonzept mit der Realisierung des Magnetbahnprojektes dringend erforderlich.
In der Diskussion werden von Gegnern des Projekts vor allen zwei Behauptungen ins Feld geführt: Zum einen benötige die Magnetschienenbahn mehr Energie und würde damit die Umwelt stärker belasten, zum anderen würden die hohen Kosten zu sehr hohen Fahrpreisen führen, die eine Nutzung für den „normalen“ Bürger unerschwinglich machen werde. Was halten Sie dem entgegen?
Der Energiebedarf der Magnetbahn (infolge höherer Beschleunigung und höherer Geschwindigkeit, bis 230 Stundenkilometer auf dem Nordabschnitt sowie bis 270 Stundenkilometer auf dem Südabschnitt) ist im Vergleich zur konventionellen Eisenbahn mit 220 Stundenkilometern natürlich höher. Je nach Streckenvariante ist die Fahrzeit auch um etwa 15 Prozent niedriger, als bei der Eisenbahn. Eine Umweltbelastung kann ich nicht erkennen, da verstärkt in Zukunft erneuerbare Energien zum Einsatz kommen. Die hohe Umweltbelastung sehe ich nicht durch die Magnetbahn sondern durch die geplante Eisenbahn, wenn man sich vorstellt, dass alle 15 Minuten ein Eisenbahnzug über die dicht besiedelte Insel fährt und ein Geräuschpegel von über 80 dB(A) erzeugt. Eine Magnetbahn ist wegen fehlender Rollreibung (Rad/Schien-Kontakt) und infolge besserer Fahrzeugverkleidung (Aerodynamik) um ein Vielfaches leiser. Insofern gibt es zur Magnetbahn aus Umweltgründen keine Alternative!
Die bisherigen Kostenkalkulationen haben gezeigt, dass die Magnetbahn, allein infolge des niedrigeren Tunnel- und Brückenanteils und des niedrigen Flächenbedarfs, von den Investitionskosten unter den Kosten der Eisenbahn liegt. Ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger sind die günstigeren Betriebskosten der Magnetbahn. Erste Untersuchungen zur Wirtschaftlichkeit haben ergeben, dass sich die Fahrpreise für die Gesamtstrecke Nord-Süd in der Größenordnung der Buspreise bewegen werden – und müssen.
Sie waren am Transrapid-Projekt Shanghai beteiligt. Inwieweit kann diese Bahn Vorbild für das Projekt auf Teneriffa sein und was muss man anders machen?
Zunächst folgende wichtige Feststellungen: Die Magnetbahn Transrapid ist marktreif; in Deutschland seit über 25 Jahren auf der Großversuchsanlage im Emsland (31,5 Kilometer) ausreichend erprobt. Kein Bahnsystem wurde vor einer Anwendung so intensiv getestet. Sie ist seit 2002 in Shanghai (23 Millionen Metropole mit zwei Flughäfen, deren Verkehrsaufkommen in 2010 rund 72 Millionen Passagiere betrug) im kommerziellen Betrieb mit hoher Verfügbarkeit (96 Prozent) und hoher Pünktlichkeit (99 Prozent). Bis Juni 2011 sind zwischen Flughafen Pudong International und Stadt-/Finanzzentrum etwa 29 Millionen Passagiere transportiert worden. In den ersten Jahren 1,5 bis 3 Millionen und dann jährlich etwa 5 Millionen Passagiere (in 2010). Die Tagesleistung liegt dann bei etwa 13.000 bis 15.000 Passagieren. Ein Hinweis: Das Transrapidprojekt in Shanghai war und ist noch ein Demonstrationsprojekt. Die verkehrliche Wirkung wird erst nach Verlängerung erreicht, das heißt nach Verbindung der beiden Flughäfen. Im Jahre 2020 wird dann in Shanghai ein jährliches Verkehrsaufkommen von über 30 Millionen Passagieren erwartet.
Mit drei, fünf und sechs Wagenzügen sind insgesamt auf der 30 Kilometer Stadtstrecke in Shanghai über 9 Millionen Kilometer zurückgelegt worden. Die Transrapidstrecke in Shanghai wird um weitere 32 Kilometer verlängert; dann wird sie insgesamt eine Gesamtlänge (ab etwa 2015) von etwa 62 Kilometern aufweisen. Diese Strecke wird dann eine wichtige Verbindung zwischen dem Flughafen Pudong International (41 Millionen Passagiere) und dem Regionalflughafen Hongqiao (31 Millionen Passagiere) sein, der gleichzeitig der neue Fernbahnhof für die neue Eisenbahnverbindung Shanghai-Beijing ist.
Ich denke, dass diese Daten aus Shanghai die Marktreife des Transrapid deutlich aufzeigen. Aus diesen Erfahrungen ist die Magnetbahn Transrapid in der Tat ein Vorbild für ein modernes Bahnsystem, auch für Teneriffa. Das Projekt für Teneriffa wird im Vergleich zu Shanghai eine weiterentwickelte Technologie in allen Bereichen und zwar vom Fahrweg, der Energie- und Antriebsversorgung, die Betriebsleittechnik und insbesondere ein völlig neues Fahrzeug in Anlehnung zum Transrapid 09 (in Shanghai Transrapid 08) mit völlig neuer Ausstattung hinsichtlich Komfort und Sicherheit (z.B. modernstes Brandschutzkonzept) sein. Dies zeigt, dass die Magnetbahn Transrapid weiter entwickelt worden ist, infolge eines Anwendungsprojektes in Shanghai. Insofern könnte das Teneriffa-Projekt verkehrlich, technologisch und arbeitsmarktpolitisch für Teneriffa eine große Chance sein.
Teneriffa nicht nur als Insel des Tourismus sondern auch als Stätte für neueste Technologien zu sehen, ist nicht nur eine Zukunftsvision sondern wird durch andere Projekte bereits zur Realität. Wie kann das Magnetbahnprojekt zur Strukturveränderung auf der Insel beitragen und dabei helfen, vom Tourismus unabhängiger zu werden?
Das Magnetbahnprojekt wird einen weiteren großen Schub der Insel Teneriffa zum Ausbau der „Neuen Technologien“ geben und damit kann sich Teneriffa von anderen Inseln erheblich als „nicht nur Touristeninsel“ absetzen. Teneriffa hat die Chance, wie in der frühen Vergangenheit (Stichworte: Seeschifffahrt, Teneriffa verdankt viel Alexander von Humboldt, 1799), nun ein Schaufenster in der neuen Welt für neue Technologien, wie z.B. erneuerbare Energien, Kommunikationstechnik/Internet und umweltfreundliche neue Bahnsysteme für Europa, Afrika und Amerika zu werden. Dies schafft neue qualifizierte Arbeitsplätze neben dem touristischen Dienstleistungen und sichert der Insel zugleich einen zusätzlichen, den technisch interessierten Tourismus (internationale Ingenieure und Konferenzen). Wird diese Chance genutzt, wird Teneriffa eine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen und der touristischen Zukunft erhalten.
Vielen Dank, Herr Professor, für das Exklusiv-Interview und die ausführliche Beantwortung unserer Fragen. Wir werden mit großem Interesse das Projekt weiter verfolgen und nehmen gern Ihr Angebot an, uns vom Fortgang der Arbeiten auf dem Laufenden zu halten und Fragen unserer Leser zu beantworten. In diesem Sinne: Ihnen viel Erfolg für das Projekt, das unserer Insel einen Weg in die Zukunft eröffnet.
Von Dietmar A. Hennig