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Herr Melchior, Professor Peter Mnich von der Technischen Universität Berlin bezeichnete Teneriffa kürzlich als Insel der neuen Technologien. Mit welchen Projekten hat sich Teneriffa dieses Attribut verdient?
Natürlich wird Teneriffa zunächst einmal vor allem mit Urlaub assoziiert, aber es stimmt auch, dass es viele technologische Projekte gibt, die der Insel weltweit einen hervorragenden Ruf in verschiedensten Themenbereichen eingebracht haben. Besonders bekannt sind wir für das ITER-Forschungszentrum in Granadilla de Abona. Es handelt sich um das größte Demonstrationszentrum für erneuerbare Energien weltweit. Auf einem Rundgang kann der Besucher einfachste Systeme genauso kennenlernen, wie Spitzentechnologie. Es verfügt über einen leistungsstarken Wind- und Solarpark, aber auch über einen Windtunnel. Es wird dort an Wellentechnologie geforscht, und es präsentiert der Welt das erste bioklimatische Dorf, das sich völlig autark versorgt und keinerlei CO2 Emissionen ausstößt.
Aber es gibt noch weitere Zentren, die international anerkannt sind: So zum Beispiel das Astrophysikalische Institut mit den Observatorien auf La Palma und auf Teneriffa. Ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld ist das Bioorganische Forschungszentrum. Nirgendwo auf der Welt findet man ähnliche Bedingungen wie auf Teneriffa. Auf 2.000 Quadratkilometern haben die Wissenschaftler ein einmaliges Forschungsfeld. Nirgendwo gibt es so viele verschiedene, endemische Arten, wie hier. Das liegt vor allem an den unterschiedlichen Mikro-Klimazonen. Bekannt ist das Bioorganische Zentrum unter anderem für seine Forschungen in Bezug auf pflanzliche Heilmittel. Zwar kann man sagen, dass etwa 95 Prozent der Ergebnisse zu nichts führen, aber die übrigen fünf Prozent können oft viel bewirken und neue Therapiemöglichkeiten erschließen. Unsere 200 Jahre alte Universität in La Laguna ist in der Bio-Forschung immer stärker geworden und spielt heute international eine Rolle. Außerdem sind wir für unser Institut für Tropische Krankheiten bekannt. Ein Umstand, der nur wenigen geläufig ist. Als nächstes sind unsere Meerwasserentsalzungsanlagen zu nennen. Von unseren Erfahrungen profitieren viele Länder in der ganzen Welt. Unsere Vulkanologen werden ebenfalls häufig zur Unterstützung ihrer Kollegen in vulkanischen Gebieten angefordert. Und jetzt, ganz aktuell, ist der Neutral Access Point, NAP, als neuestes technologisches Zentrum fertiggestellt. Hochmoderne Fiberglaskabel verlinken Europa, die Kanaren, Afrika und Amerika. So entstehen international völlig neue Perspektiven, und die Menschen hier profitieren, weil Kommunikation immer schneller, besser und günstiger wird. Ab Mai wird man das erleben können.
Die Einschätzung der deutschen Spezialisten, dass der Bau einer Magnetschwebebahn machbar ist, hat das Projekt auf festere Füße gestellt. Als wie real sehen Sie dieses Projekt an?
Wir haben zwei Studien in Auftrag gegeben. Die Erste war ein technisches Gutachten, das sowohl von unabhängigen deutschen, als auch spanischen Ingenieuren erstellt wurde. Es bestätigte kürzlich die technische Machbarkeit eines Transrapids auf Teneriffa. Eine zweite Studie soll nun die finanzielle Realisierbarkeit prüfen. Eine Antwort darauf erwarten wir bis etwa Mitte Mai. Sollten beide Studien positiv sein, könnten wir loslegen. Die voraussichtliche Bauzeit wird fünfeinhalb Jahre betragen.
Fakt ist, dass Mobilität und Nachhaltigkeit die großen Themen unserer Zeit sind. In allen Metropolen der Welt sehen wir, dass der Schienenverkehr, sei er als Zug-, U-Bahn, oder Straßenbahnverkehr, die einzige pünktliche und nachhaltige Alternative ist. Ohne sie würden unsere Städte noch mehr im Verkehrschaos versinken, und die Umweltbelastung wäre enorm. In Paris bewegt man sich mit dem Auto heutzutage langsamer vorwärts als früher mit der Pferdekutsche oder mit dem Fahrrad.
Damit öffentliche Verkehrsmittel wettbewerbsfähig und für den Bürger interessant sind, müssen sie schnell, sicher und günstig sein. Nimmt man zum Beispiel die Straßenbahn. Zu Beginn war es ein heftig umstrittenes Projekt. Heute nutzen täglich rund 55.000 Menschen die Tranvía und sind begeistert. Der Effekt: Wir haben wesentlich weniger Staus als vorher, und die Lebensqualität der Menschen in den Metropolen La Laguna und Santa Cruz hat sich erheblich verbessert.
Daraus ergibt sich, dass der Schienenverkehr auch auf längeren Distanzen sinnvoll ist. Wäre es nicht schön, wenn man die Extreme der Insel, wie zum Beispiel Puerto de la Cruz und den Süden oder Güímar und die Isla Baja im Nordwesten in weniger als 35 Minuten verbinden könnte? Den Menschen erschließen sich daraus beruflich wie privat völlig neue Dimensionen. Gleichzeitig ist es eine umweltfreundliche Fortbewegungsart.
In der Frage normaler Schienenverkehr oder Transrapid sprechen einige wesentliche Faktoren für die Magnetschwebebahn. Der Transrapid ist die schnellere Variante, obwohl er hier seine Spitzengeschwindigkeiten nicht ausfahren, sondern etwa mit 240 Stundenkilometern verkehren wird. Vor allem aber kommt er durch seine Flexibilität den geographischen Gegebenheiten der Insel entgegen. Er kann vier Mal höhere Steigungen überwinden, als ein herkömmlicher Zug. Bedenkt man, dass allein zwischen Santa Cruz und La Laguna ein Höhenunterschied von 500 Metern besteht, liegen die Vorteile auf der Hand. Zudem ist der Kurvenradius wesentlich geringer. In Anbetracht unserer Geografie würde sich der Transrapid viel einfacher in unsere kurvigen Inselteile einpassen.
Wie sieht die finanzielle Seite der Umsetzung einer Transrapidstrecke aus und was sagen Sie Kritikern, die meinen, man solle das Geld in wichtigere Sozialprojekte und die Förderung des Mittelstandes stecken?
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich möchte das erklären: Wir haben die Zusage der Zentralregierung für drei Milliarden Euro für ein Zugprojekt. Dieses Geld ist zweckgebunden – das heißt, wir bekommen es für einen Zug oder gar nicht. Das Geld stammt aus einem Topf des Verkehrsministeriums, das jährlich in Häfen und Flughäfen, Straßen und Schienen investiert. Bisher haben wir von dem Zugbudget nichts bekommen, weil es auf Teneriffa keinen Zug gibt. Genauso wie Madrid zum Beispiel nichts von dem Hafenbudget hat. Diese Anteile können auch nicht umgeschichtet werden. Nun haben wir aber ein Zugprojekt, und nachdem wir zwei Prozent der spanischen Bevölkerung stellen, stehen uns auch zwei Prozent dieses Budgets zu. Präzise ausgedrückt erhalten wir rund 100 Millionen Euro im Jahr und das auf 30 Jahre. Damit wäre die Investitionssumme von drei Milliarden erbracht. Eine entsprechende Zusage aus Madrid liegt bereits vor. Dieses Budgetlimit ist die Grundlage der derzeitigen zweiten, finanziellen Machbarkeitsstudie für den Transrapid. Gegenüber einem herkömmlichen Zug müsste eine Differenz von circa 650 Millionen aufgebracht werden und die Finanzierung müsste weiterhin auf 30 Jahre ausgelegt sein. Unter anderem finden derzeit Gespräche in Brüssel statt.
Obwohl es wenig bekannt ist, ist das Thema Zug durchaus kanarisch. Ende des 19. Jahrhunderts bauten die Canarios zum Beispiel Züge in Kuba und 1880 gab es Pläne, einen Zug im Norden Teneriffas zu bauen. Er scheiterte an den finanziellen Mitteln. Bis 1965 verkehrte eine Dampflok als Güterzug zwischen Güímar und Santa Cruz, allerdings nur, um Baumaterial für den Hafen von Santa Cruz zu befördern. Später fand man die Schiene als altmodisch und setzte auf Busse als moderne öffentliche Verkehrsmittel. Heute findet ein erneutes Umdenken statt und der Schienenverkehr ist zu einem unverzichtbaren Bestandteil, vor allem in den Städten geworden.
Nimmt man nun alle Faktoren zusammen erkennt man, dass der Transrapid der Insel eine Fülle von neuen Möglichkeiten eröffnen würde. Das gilt für Berufspendler oder Freizeitaktivitäten der Residenten und genauso für die Mobilität unserer Urlaubsgäste.
Vor wenigen Tagen wurde auf dem Gelände des ITER der erste Bauabschnitt des D-ALiX-Projektes eingeweiht. Was verbirgt sich hinter dieser futuristisch erscheinenden Abkürzung?
Der Name ist abgeleitet von den „Alisios“, also den Passatwinden. Sie haben einst die Schiffe aus Europa auf die Afrika-Amerika-Route gebracht und dadurch die Entwicklung der Kanaren gefördert. Später waren es Flugzeuge. Immerhin ist Teneriffa heute mit 147 Städten direkt verbunden. Die Zukunft liegt in der Telekommunikation. In der globalisierten Welt, in der wir nun einmal leben, ist nur wettbewerbsfähig, wer schnell und effizient kommuniziert. Eine europäische Studie ergab, dass die ultraperipheren Regionen Europas einen enormen Wettbewerbsnachteil haben, weil ihnen die schnelle Vernetzung fehlt. Daten werden heute per Internet sozusagen mit Lichtgeschwindigkeit ausgetauscht. NAP und ALiX sind die Elemente, die eine schnelle, effiziente und sichere Vernetzung möglich machen und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Kanaren auf völlig neue Füße stellt. Dieses unscheinbare achthaarige Glasfiberkabel kann 800 Millionen Gespräche simultan vermitteln. Das ist unglaublich. Davon profitieren nicht nur wir, sondern auch unsere Nachbarn in Afrika, die in das Projekt der trikontinentalen Vernetzung Europa-Afrika-Amerika integriert sind. Es handelt sich um die ärmsten Nationen der Welt, die nun eine echte Entwicklungschance erhalten.
Als wir vor einigen Jahren, als Antwort auf die Studie, nach einer Lösung suchten und mit dem Brechen des bestehenden Monopols begannen, wurden wir weder in Brüssel noch vom den Monopolisten ernst genommen. Doch wir arbeiteten in einem kleinen effizienten Team mit hervorragend ausgebildeten Canarios. Wir alle waren mit viel Engagement und Enthusiasmus dabei und bewiesen, dass man mit der Kraft der Überzeugung alle Barrieren überwinden kann. Als die damaligen Monopolisten erkannten, dass wir dabei sind, den Kampf David gegen Goliath zu gewinnen, versuchten sie uns mit Korruptionsversuchen zu boykottieren. Ich bin heute sehr stolz darauf, dass wir dieses Projekt durchgeboxt haben, und das haben wir nur der Loyalität und dem Enthusiasmus dieser kleinen Gruppe zu verdanken.
Welche Arbeitsmarktperspektiven ergeben sich daraus für Teneriffa?
Diese Antwort kann man nicht in konkreten Zahlen ausdrücken, aber blickt man auf andere Orte auf der Erdkugel, kann man sagen, dass die High-Tech-Kommunikation überall einen kleinen Boom ausgelöst hat. Der Präsident der Dominikanischen Republik, Leonel Fernández, bezeichnete die Einführung des NAPs für die Karibik als wichtigsten Akt seit der Unabhängigkeitserklärung von Spanien im Jahr 1865. Südafrika war bis vor sechs Jahren nur mit einem Kabel mit Lissabon verbunden. Danach wurde auch hier ein Hochgeschwindigkeitskabel gelegt und seither erfährt es eine rasante Entwicklung. In Miami Dade, dem Ort des US-NAP, entstand sogar eine Art Silicon Valley. Auch wenn wir nicht voraussagen können, wie viele direkte und indirekte Arbeitsplätze das NAP schafft, so glaube ich fest an ein unglaubliches Potential, das unter anderem unserer jungen Generation ungeahnte Berufschancen öffnet.
Tourismus auf der einen Seite und Spitzentechnologien auf der anderen: Ist das der Mix, der die derzeitigen Strukturprobleme auf Teneriffa überwinden hilft und zugleich auf die Zukunft orientiert ist?
Wir leben in einer rasanten und schnelllebigen Zeit. Dieser Wandlung darf man sich nicht entziehen, wenn man eine gute Lebensqualität der Menschen garantieren möchte. Deshalb sind Spitzentechnologien in verschiedenster Art ein wichtiger Baustein, auf dem wir die Zukunft der Insel aufbauen. Teneriffa soll in Wissenschafts- und Wirtschaftskreisen international eine Rolle spielen. Gleichzeitig schätzen wir unseren Tourismus, denn wir haben den Menschen, die Erholung suchen, eine große Vielfalt zu bieten. Unser größter Schatz ist unsere Natur. Mit der größten biologischen Vielfalt der Welt ist Teneriffa ein ganz besonderer Ort. Deshalb steht rund die Hälfte unseres Territoriums auch unter Naturschutz, und das soll auch in Zukunft so bleiben. Meine Vision von Teneriffa ist zukunftsorientiert und nachhaltig zugleich. Wir wollen auf dem globalen Parkett eine Rolle spielen und gleichzeitig eine Referenz für die Kompatibilität von wirtschaftlicher Entwicklung und Umweltschutz sein.
Herr Melchior, sie haben Teneriffa mit ihren Visionen ein gutes Stück weiter gebracht. Wir danken Ihnen für dieses Gespräch und wünschen Ihnen auch weiterhin viel Erfolg, visionäre Geistesblitze und Tatkraft.
Von Sabine Virgin und Dietmar A. Hennig