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Eine verrückte Idee
Die Besteigung eines jungfräulichen Berges war ein gro- ßes Risiko. Nicht nur mussten sie den Berg aussuchen, ohne zu wissen, was sie erwartet, sondern sie wussten zudem, dass im Falle eines Unglücks eine Rettung nahezu unmöglich ist. Die beiden waren, nachdem sie das Camp 1 in rund 5.000 Metern Höhe verlassen hatten, auf sich allein gestellt. Das nächste Krankenhaus, in dem sie hätten Hilfe finden können, war 18 Autostunden entfernt. Die beiden sind nicht blauäugig und wussten, welcher Gefahr sie sich stellten. Hinzu kamen Wetterkapriolen. Es war ungewöhnlich kalt für die Jahreszeit. Sogar geschneit hat es. Mehrere Tage harrten sie in dem Camp aus, um besseres Wetter abzuwarten. Morgens war es oft schön, später schneite es. Zu gefährlich für den Aufstieg. Sie rechneten mit rund zehn bis 15 Stunden, die sie für den Gipfelsturm benötigen würden. Morgens um 3 Uhr ging es dann los. Am Anfang kamen sie gut voran. Etwa auf halbem Weg wurde das Eis dunkler und von schlechterer Qualität. In diesem Bereich übernahm der jüngere David die Führung. Ihm liegt dieses Terrain mehr. „Jeder von uns hat gegeben, was er konnte. Wir haben uns perfekt ergänzt“, erklärten beide nach der Kraftprobe. Eisplatten wechselten sich mit gro- ßen Granitblöcken ab. Von ihrem Camp aus, hatte dieser Bereich nicht so schwierig ausgesehen. Bis sie diesen gemischten Teil hinter sich hatten, war es schon 16 Uhr. Eigentlich hätten sie jetzt schon auf dem Gipfel sein sollen. Sie waren sich nicht sicher, was sie jetzt tun sollten. Nicht selten mussten Bergsteiger kurz vor dem Ziel aufgeben, weil es sonst zu gefährlich geworden wäre. Sie mussten sich entscheiden: aufgeben oder campieren im Schneegestöber mit nur einer Thermodecke? Sie entschieden, dass sie den „Point of no return“ (den Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt) schon überschritten hatten. „Es war auch nicht das erste Mal, das wir in einer Eishöhle schlafen“, berichtet Amador.
Der ultimative Kraftakt
Sie begannen den letzten Aufstieg ungefähr 200 Höhenmeter vom Ziel entfernt. Die Höhe, die dünne Luft und über zwölf Stunden, die sie bereits in der Wand waren, zehrten an ihren physischen und psychischen Kräften. Gegen 19.30 Uhr befanden sie sich unterhalb der letzten Wand. „Zum Teil sanken wir knietief in den Schnee ein. Es war ein ermü- dender Endspurt. Für mich war das der schlimmste Teil“, erinnert sich Pérez. Von unten aus hatten die beiden Abenteurer nur raten können, was sie dort erwartet. Diese letzte Gipfelregion konnten sie vorher nicht sehen. Sie war die große Unbekannte. Nach 17 Stunden hatten sie es aber dann geschafft. In einem Dreieck, umgeben von Felsen, standen sie auf dem Gipfel des Berges. Sie hissten die kanarische Fahne und genossen den großen Moment. „Das Gefühl zu wissen, dass du gerade Boden betrittst, den vor dir noch kein anderer Mensch betreten hat, ist einfach unglaublich intensiv. Jeder einzelne Schritt wird zu einer Art Offenbarung. Du verbindest dich mit der Natur und der ganzen Menschheit. Es war zweifelsohne einer der schönsten Momente, die mir die Berge je geschenkt haben“, philosophierte Amador in der Erinnerung. Und das soll bei diesem erfahrenen Bergsteiger schon etwas heißen. Nach der erhebenden Gipfelerfahrung lag noch eine lange Nacht vor ihnen. Sie mussten sie im Berg verbringen. Ein Abstieg in der Dunkelheit wäre trotz der Helmlaternen Selbstmord gewesen. Sie setzten sich auf ihre Rucksäcke. „Es war die härteste Nacht, die ich je in den Bergen verbracht habe. Wir hatten nur eine kleine Thermodecke, die bis Mitternacht in Fetzen hing. Es schneite ständig und die Temperatur war auf minus 15 Grad Celsius gefallen. Alle 20 Minuten zwangen wir uns aufzustehen und ein wenig zu laufen, um Erfrierungen zu vermeiden“, berichtet Pérez. Sehr langsam ging diese Nacht vorüber, bis es gegen 6 Uhr endlich hell wurde. Jetzt ging es an den Abstieg. Zunächst liefen sie ein Stück auf dem gleichen Weg zurück, den sie gekommen waren. Danach nutzten sie ein paar Felskanäle, um sich abzuseilen und so Zeit zu gewinnen. Es hörte nicht auf zu schneien. Die ganze Zeit über fielen immer wieder kleine Schneewehen auf sie und sie fürchteten, es könnte schlimmer werden. Einige Eislawinen erschreckten sie. Schließ- lich erreichten sie um 20.15 Uhr, nach 43 Stunden, ihr Camp I, wo sie der Kollege Jorge Rojas voller Ungeduld erwartete. Er war in großer Sorge um die Freunde gewesen, die wesentlich länger unterwegs gewesen waren als geplant. „Zweifelsohne war dies einer meiner gefährlichsten Gipfel. Vergleichbar mit jedem Achttausender, den ich erklommen habe. Es war abwechslungsreich, hat Spaß gemacht und war eine Herausforderung für jeden Alpinisten. Mit David diese Aufgabe zu meistern, war ein pures Vergnügen für mich. Wir haben uns perfekt verstanden. Wir wussten, wir mussten so schnell wie möglich sein, ohne dabei die Sicherheit außer Acht zu lassen. Ich bin sicher, dass wir von diesem jungen Alpinisten in dieser Sportart noch viel hören werden“ , beteuerte Amador abschließend. Nach der erfolgreichen Expedition machten sie sich auf die Heimreise. Im Gepäck ein weiterer Sieg über die eigenen Kräfte und die Natur.